Es esmu Riga!

Ich bin Riga (lettisch)

Stalins Geburtstagstorte © Sadiku

„Gewalt“, „Alkohol“ und „Drogen“, „Kriminalität“ und „Korruption“, „Arbeitslosigkeit“ und „Perspektivlosigkeit“, „Stereotype Rollenverteilung“ sowie “Kulturelle Segregation“ und „Viktimisierung“ … Wenn Mensch sich entscheidet, für ein Semester in Riga zu studieren, dann wird dieser mit den benannten Phänomenen konfrontiert. Ob dies den baltischen Staat adäquat umschreibt, wird dabei selten differenziert reflektiert. Doch was ist Riga für eine Stadt und warum entscheidet Mensch sich ausgerechnet für eine so gegensätzliche Stadt?

Verhältnis zwischen LettInnen und RussInnen

Brīvības piemineklis © Sadiku

Lettland ist mittlerweile seit 1990 unabhängig und seit 2004 Mitglied der Europäischen Union, allerdings sind während der Sowjetokkupation angesiedelte RussInnen geblieben beziehungsweise waren schon immer da, was ein großes Konfliktpotential innerhalb der Gesellschaft birgt. LettInnen und RussInnen führen ein „Leben des Nebeneinanders“. Es herrscht kaum eine „kulturelle Vermischung“ innerhalb dieser beiden „Volkszugehörigkeiten“, auch sprachlich kommen sich die Menschen nicht näher. Weder herrscht ein Konsens von Seiten der Bevölkerung russisch als offizielle zweite Amtssprache einzuführen, noch sieht sich die Politik dafür in Verantwortung einige Initiativen diesbezüglich zu starten und das kulturelle Zusammenleben zu fördern.

Nation und Nationalismus

Vecrīga © Sadiku

Die LettInnen sind sehr stolz auf ihre junge Nation. Nationallieder und ein verstärktes Nationalbewusstsein sind konstitutive Merkmale für ihre „Kulturelle Identität“. Dass das singen befreit, demonstrierten die LettInnen bereits 1989, als sie gemeinsam mit LitauerInnen und EstInnen eine Menschenkette von Tallinn über Riga nach Vilnius bildeten und ihrem Protest durch Gesang Ausdruck verliehen (Singende Revolution). Bedingt durch den historischen Kontext herrscht innerhalb der lettischen ´Volksnation´ eine Fixierung der Viktimisierung. Rassismus und Nationalismus gegenüber Minoritäten werden unbewusst propagiert und tragen dazu bei, dass das gesellschaftliche Klima angespannt bleibt.

Umgang mir Sinti und Roma

Pilsētas kanāls © Sadiku

Auch in Lettland leben viele Sinti und Roma, die gesellschaftlich segregiert sind. Weder findet ein kultureller Austausch statt, noch ist es den Sinti und Roma erlaubt, gesellschaftlich und politisch zu partizipieren. Die meisten von ihnen leben in Sammellagern und haben weder Arbeit noch die Möglichkeit im staatlichen Bildungssystem integriert zu werden. Sie sind gesellschaftlich segregiert und als „Feindbild“ deklariert, welches die „Kulturelle Homogenität“ zu zerstören versuchen. Dass Menschen mit einem ´fremdländischen Aussehen´ nicht gewünscht sind, demonstriert das gängige Öffentlichkeitsbild, denn in Lettland sieht Mensch kaum einen Menschen mit einer dunklen Hautfarbe oder Frauen ´religiös verschleiert´.

Emanzipation der Frau

Rāts laukums © Sadiku

Die Optik vieler Frauen in Riga vermittelt den Eindruck, dass diese emanzipiert sind. Selbstbewusst, modebewusst stolzieren diese durch die Riga Altstadt mit ihren hohen Absätzen und kurzen Röcken. Doch schaut Mensch sich die Fassade genauer an, so wird dieser schnell mit der Klischeehaftigkeit von Stereotypen und Sexualisiertheit konfrontiert. Optisch scheint die Riga Frau emanzipiert zu sein, doch innerhalb der häuslichen Sphäre werden tradierte Rollenbilder und Verhaltensmuster reproduziert. Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern verdienen die Frauen in Riga durchschnittlich auch weniger als ihre männlichen Kollegen und sind sowohl in der Wirtschaft wie auch in der Politik unterrepräsentiert. Der Kampf aus der unverschuldeten Unterrepräsentiertheit in wichtigen Führungspositionen hat auch hier in Riga begonnen.

„Schönheit“ und „Authentizität“, „Jung“, „Dynamisch“ und voller „Zuversicht“, „Vielheit“ und „Gastfreundlichkeit“. Lettland ist ein Land voller Gegensätze und Widersprüche. Widersprüche zwischen „LettInnen“ und „RussInnen“, sowie „Sinti und Roma“, Gegensätze zwischen „Arm“ und „Reich“, sowie „Peripherie“ und „Zentrum“, „Jugendstil“ und „Sozialistische Plattenbauten“. Vielleicht sind es diese Widersprüche, die Riga interessant machen und einen faszinieren. Vielleicht ist es aber auch einfach diese Dynamik, die die Stadt kontinuierlich verändern lässt.

Gastautorin: Cendresa Sadiku – »ceca«

Cendresa Sadiku

Cendresa Sadiku studiert derzeit ´Politische Theorie´ an der Goethe Universität Frankfurt. Zuvor studierte sie an der Bergischen Universität Wuppertal ´Wirtschaftspolitik und Philosophie´ auf Bachelor. In den letzten Jahren war sie unter anderem Mitglied des AStA (Vorsitz und Referentin für Hochschulpolitik und Politische Bildung), sowie Mitglied des Studierendenparlamentes (StuPa-Präsidium).

 
 

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