Kulturcrash der besonderen Art

Indien weiß zu feiern

Unser zweiter Monat in Delhi verging wie im Flug. Mittlerweile sind wir schon in den Genuss verschiedenster Vorzüge dieses vielfältigen Landes gekommen, wovon einer besonders spannend ist: Feste feiern ist hier eine ganz andere Hausnummer als in Deutschland – und wir durften daran teilhaben!

Nachbarschaftsfest im großen Stil

Unsere Nachbarn erwähnten vor Kurzem ganz nebenbei, dass es ein kleines Fest im Hof geben würde und dass wir herzlich eingeladen wären. Als wir an besagtem Tag allerdings, von unbekanntem Krach geweckt, die Hintertür unserer Wohnung öffneten, traf uns fast der Schlag: Der komplette Balkon war mit riesigen Tüchern zugehängt, hinter denen Dutzende Arbeiter große Gerätschaften herantrugen. So viel zum Thema kleines Nachbarschaftsfest.
Als wir abends hinaustraten, war der Platz nicht wiederzuerkennen. Ein roter Teppichboden bedeckte den gesamten Innenhof. Scheinwerfer leuchteten eine geräumige Bühne aus, auf der bereits zahlreiche Opfergaben – von Blumen und Obst bis hin zu Geldscheinen – vor schrillen LED-beleuchteten Götterbildern abgelegt wurden.

Dies war also der erste Tag des 9-tägigen Festes Dussehra, das den Sieg der Götter über die Dämonen feiert. Das Fest hat überall in Indien verschiedene Bedeutungen, aber die am weitesten verbreitete Variante ist die Feier der Befreiung von Ramas Frau Sita aus der Gefangenschaft Ravanas. Am zehnten Tag des Festes werden riesige Figuren von Ravana, seinem Bruder und seinem Sohn aufgestellt, mit Feuerwerkskörpern gefüllt und angezündet – ein riesen Radau in ganz Delhi!

Kultur zum Mitmachen

Dussehra-Opferschale in Blumengirlanden © Julia Wessel

Unser Hof füllte sich mit Menschen, während eine Gruppe Musiker ununterbrochen und ohrenbetäubend scheinbar bekannte Lieder zum Besten gab. Es wurde mehr und mehr mitgesungen; einer der Sänger führte als fröhlicher Moderator durch das Programm. Zwischen den Stücken sprach er wie ein Prediger zu den im Schneidersitz sitzenden Menschen in eleganten Kurtas und glitzernden Saris, die ab und zu einstimmige Antworten gaben und dazu die Hände in die Luft hoben.
Nach einer Weile wurde die Prozedur von groß angekündigten Tanzeinlagen unterbrochen. Zu wilder Musik wirbelten aufwändig als verschiedene Gottheiten und Pfauen kostümierte Tänzer und Tänzerinnen ihre armgereiften Hände in verschiedene Posen, bis sie schließlich einige Damen aus dem Publikum zum Mitmachen aufforderten – uns natürlich zuallererst. So tanzten wir etwas unbeholfen nebenher und wurden von allen Seiten angefeuert und beklatscht.

Nach etwa sechs Stunden fand das Spektakel langsam ein Ende und gegen 23 Uhr wurde ein langes Buffet mit klassischen indischen Gerichten eröffnet. Wir waren erst unschlüssig, ob wir uns einfach bedienen sollten, wurden aber schließlich geradezu dazu gedrängt und gleichzeitig zu unseren Tanzkünsten beglückwünscht. Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile, bis der Abbau dem Fest ein jähes Ende bereitete.

Weihnachtsstimmung auf Indisch

Als Pfau verkleidete Tänzerin © Julia Wessel

Wenig später folgte Diwali, das mehrtägige und wichtigste Fest des Jahres, das nach Hindu-Kalender das neue Jahr einläutet. Während Dussehra Ramas Sieg über Ravana feiert, ist Diwali seiner Rückkehr nach 14 Jahren Exil mit seiner geretteten Frau Sita gewidmet und damit generell dem Sieg des Guten über das Böse, des Lichts über den Schatten. Weil die Bewohner seiner Heimatstadt Lichter entzündeten, um Ramas nächtliche Heimkehr zu erleuchten, ist Diwali ein Lichterfest. Schon Tage und Wochen vorher werden alle Häuser mit blinkenden Lichterketten in mehr oder weniger geschmackvollen Farbkombinationen und Ringelblumengirlanden geschmückt.

Am Diwali-Abend selbst waren wir bei der Familie eines indischen Freundes eingeladen, sodass wir die religiösen Bräuche sehr intensiv miterleben konnten. Nach gemütlichem Beisammensitzen begann die Puja, das Gebet. Wir saßen im Kreis auf dem Boden, rund um eine in einer Schale angerichteten Feuerstelle, die zu unserem Erstaunen tatsächlich in der Wohnung entzündet wurde. Der Vater stimmte in flottem Stakkato einen Gebetssingsang an, in welchen seine Frau und die beiden Söhne sofort auswendig einstimmten. Wir konnten in kleinen Gesangbüchern den Text mitlesen – zum Mitsingen lesen wir Hindi leider nicht schnell genug. Nach Anleitung warfen wir bei bestimmten wiederkehrenden Zeilen in Ghee geknetete Holzstücke von einem Teller in die Flammen und tranken Wasser aus unseren Handflächen. Natürlich hatte die ganze Familie eine Haltung drauf, bei der die Hand zu einer perfekten kleinen Schale wurde und nichts herauslief, während wir uns sehr deutsch anstellten und uns von oben bis unten mit Wasser bekleckerten. Dem Gebet folgte die Segnung der jüngeren durch die Eltern. Auch wir bekamen von beiden einen Segenspunkt aus in rohem Reis angerührter roter Farbe auf die Stirn und erwiesen ihnen im Gegenzug Respekt, indem wir ihre Füße und anschließend unsere Brust über dem Herzen und unsere Stirn berührten.

Für Diwali dekorierte Straße © Julia Wessel

Gastfreundschaft im Übermaß

Natürlich durfte auch ein unverhältnismäßiger Festschmaus nicht fehlen: Frisch gebackene Puris (dünne luftgefüllte Brote), Gemüse in verschiedenen Saucen und dampfender Reis erwarteten uns. Wie immer war alles hervorragend und mengenmäßig völlig übertrieben. Sobald ein Teller nur noch halb voll war, lag schon die nächste Portion daneben, bis wir beinahe platzten und versuchten, möglichst höflich zu vermitteln, dass es wirklich sehr lecker ist, aber wir trotzdem nichts mehr möchten. Diese beiden Informationen passen im indischen Verständnis einfach nicht zusammen.
Im Anschluss wurden die typischen kleinen Öllämpchen angezündet und rund um den Balkon aufgestellt, damit die Götting Lakshmi, die Frau Vishnus, wenn sie in der folgenden Nacht durch die Straßen zieht, Segen ins Haus bringt. Von Feuerwerk begleitet kehrten wir schließlich heim – voller neuer Eindrücke einer bunten und feierfreudigen Kultur. Erlebnisse wie diese sind es, die unseren Aufenthalt so besonders machen. In diesem Sinne: ein frohes neues indisches Jahr!

Öllämpchen aus Ton © Julia Wessel

Zur Autorin

Julia Wessel

Julia Wessel studiert den Master Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal. Im Rahmen des Kulturaustauschprojekts „A New Passage To India“ verbringt sie drei Monate in Delhi und berichtet nun für blickfeld über ihre Erfahrungen, kulturelle Barrieren und den Alltag in der Hauptstadt Indiens.

Titelbild: Unser Hof im festlichen Gewand © Julia Wessel

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