Preview: Die Wupper

blickfeld-Redakteurin Lisa Giacalone besuchte die Vorpremiere am 27. März 2015

Unwillkürlich an eine Klassenfahrt erinnert fühle ich mich, als ich mit meiner Gruppe im Reisebus sitze und quer durch Wuppertal fahre. Anlass dafür ist Stephan Müllers Inszenierung von Else Lasker-Schülers Die Wupper. Für März ist das Wetter zwar relativ gut, dennoch bin ich froh darum, wie alle im Publikum zu Beginn eine kleine Tüte inklusive Zusatzinformationen und einer Decke erhalten zu haben.

Als Reise von Ort zu Ort in der Realität sowie in der Fiktion ist diese Inszenierung angelegt. Der Ausgangspunkt ist das Theater am Engelsgarten in Barmen, in dem der erste Akt noch ganz klassisch auf einer herkömmlichen Bühne stattfindet. Das Drama aus dem Jahre 1909 führt in die frühindustrielle Welt und an die Grenzen und Hindernisse, die sie den Menschen stellte. Es führt uns so vier Stunden lang durch Wuppertal: im Theatersaal, zwischen Webstühlen, auf dem Gelände des städtischen Zoos und schließlich in der Kirche entfaltet sich ein Spektakel irgendwo zwischen Theater, Stadtführung und Geschichtskurs.

Experten begleiten die Reise und untermalen sie durch zusätzliche Informationen über Else Lasker-Schülers Leben, ihr Werk, dessen Rezeption und auch den geschichtlichen Hintergrund der Stadt Wuppertal. Diese Expertengespräche sollen die einzelnen Stationen miteinander verknüpfen: es ist immerhin ein großes Schauspiel und nicht fünf kleine.

Konstantin Shklyar, Philippine Packl und Julia Reznik (Hintergrund) © Christoph Sebastian

Die Inszenierung erlebt ihren Höhepunkt nicht nur dramatisch im dritten Akt: die Tourguides, die die gesamte Fahrt und das Schauspiel begleiten, führen uns über das mittlerweile vollkommen im Dunkeln liegende Zoogelände. Irgendwo in den umliegenden Bäumen kreischen Vögel und ich fühle mich, als sei ich Teil einer Geheimaktion. Vor der Musikmuschel des Zoos fährt der dritte Akt das wilde Treiben eines Jahrmarktplatzes auf, über dem jedoch eine düstere Stimmung liegt. In diesem Spannungsfeld braucht es nicht mehr viel, um dem Stück zu erliegen.

Was durch die Expertengespräche vermieden werden sollte, geschieht jedoch leider im vierten Akt: das Stück zerbricht. Als Hörspiel angelegt erlebt man diesen Aufzug im geparkten Bus und er hinterlässt einen enttäuschenden Nachgeschmack in der Atmosphäre des Abends. Die Schauspieler schaffen es scheinbar mühelos, das Publikum in die Szenen zu ziehen, aber das Hörspiel markiert einen Riss in diesem Fluss und es kostet Konzentration, sich darauf einzulassen.

Dieser Riss ist dem Spiel in seiner Gesamtheit betrachtet trotzdem mehr als zu verzeihen; nicht zuletzt aufgrund des Ensembles, das teilweise Doppelrollen spielt. Die drei Herumtreiber, gespielt von Miko Greza, Stefan Walz, und Thomas Braus wecken mit ihrem Spagat aus realer Hässlichkeit und jenseitiger Anmutung eine Spannbreite von Sympathie bis Grusel. Die laute Mutter Pius wird großartig schrill von Philippine Pachl gespielt, viel leiser brilliert Daniel F. Kamen als Edouard.

(Stefan Walz, Anuk Ens, Daniel F. Kamen, Uwe Dreysel und Tinka Fürst (v.l.n.r.) © Christoph Sebastian

An der Oberfläche zeigen sich alltägliche Banalitäten und Konflikte, aber immer wieder taucht etwas stark Bedrohliches auf, das einen nahenden Untergang erahnen lässt. Das Drama ist die Geschichte vom Scheitern des Einzelnen und vom Scheitern der Masse an der Welt. Diese Inszenierung schafft dabei ein geknüpftes Zusammenspiel von verschiedenen Orten, Stimmen und Reflexionspunkten, die in ihrer Gesamtheit mehr als ein einfaches Theaterstück hervorbringen.

Auf dem Nachhauseweg gehe ich anders durch Wuppertal. Gut möglich, dass dieses Echo nur wenige Tage nachklingt, aber ich sehe die Stadt wie verwandelt und empfinde fast eine Andacht, sie mit Else Lasker-Schüler teilen zu können.

Wer Interesse hat, sollte unbedingt warme Kleidung und festes Schuhwerk mitbringen. Bis zum 10. Mai 2015 hat man noch die Chance auf diese Reise. Weitere Informationen und Tickets erhaltet Ihr unter wuppertaler-buehnen.de. »lg«

Titelbild: Thomas Braus, Miko Greza und Stefan Walz (v.l.n.r.) © Christoph Sebastian

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