Kulturcrash der besonderen Art

Sechs Studierende auf Übersetzungsreise in Delhi

Jetzt sind wir schon einen Monat in Indien. Das kommt uns unendlich lang und gleichzeitig verschwindend kurz vor. Wir, das ist eine bunte Truppe von sechs Studierenden aus verschiedenen Bereichen der Germanistik, in denen das Projekt „A New Passage To India“ Anfang des Jahres heftig beworben wurde. Wir haben uns auf dieses Abenteuer eingelassen und sind nun eine von zwei Gruppen, die gemeinsam mit einer Gruppe indischer Studierender einen indischen Roman ins Deutsche übersetzt. Eine spannende und – durch die kulturellen und sprachlichen Unterschiede – oft schwierige Arbeit. Aber für Sprachenthusiasten und ausdauernde Klamüsernaturen genau das Richtige! Dazu eine Portion Grundinteresse am Land der heiligen Kühe und schon hat man die perfekte Mischung aus Studium, Reise und Kultursafari. Wann hat man schon einmal die Möglichkeit, ein so fremdes Land „von innen“ kennenzulernen; nicht als Tourist, sondern in enger Zusammenarbeit mit Einheimischen?

Die Arts Faculty der Delhi University © Julia Wessel

Das Projekt ist eine Zusammenarbeit der Bergischen Universität Wuppertal mit zwei Universitäten in Delhi, der südlich gelegenen Jawaharlal Nehru University und der University of Delhi in Nord-Delhi. Letztere ist noch für die nächsten zwei Monate unsere Arbeitsstätte. Sechs weitere Studierende übersetzen an der Nachbar-Uni mit ihren Partnern in umgekehrter Richtung deutsche Texte ins Hindi.

Unser Roman heißt „Global Gaun Ke Devta“, was grob übersetzt in etwa heißt: „Die Götter des globalen Dorfes“. Während des Wuppertal-Aufenthalts unserer Tandempartner von Anfang Juni bis Ende August haben wir bereits eine Rohfassung der Übersetzung fertig gestellt. In unserer Zeit in Indien werden wir diese nun hoffentlich in einen lesbaren deutschen Text umwandeln, der dabei allerdings weiterhin möglichst nah am Original bleiben soll. Das scheint oft genug erst einmal unmöglich.
Was aber neben der Arbeit glücklicherweise nicht ausbleibt, sind die Erkundung dieses vielseitigen Landes und dadurch auch Grenzerfahrungen auf allen Gebieten. Als, mit nur einer Ausnahme, indien-unerfahrene Gruppe war der Kulturschock anfangs entsprechend groß. Durch die intensive Arbeit mit unseren Partnern konnten wir zwar schon in Deutschland einiges über die Sitten und Gewohnheiten der uns sehr fremden indischen Kultur lernen. Aber all das nicht nur mit eigenen Augen zu sehen, sondern sich hier außerdem ein alltägliches Leben aufzubauen – auch wenn es nur für drei Monate ist – ist natürlich eine ganz andere Erfahrung.

Ein Blick über unser graues Viertel Model Town © Julia Wessel

Der erste Schreck ereilte uns bereits kurz nach der Ankunft: Auf „indische Verhältnisse“ waren wir eingestellt, aber die Wohnung, die unsere Partner für uns gesucht hatten, war jenseits von Gut und Böse. Kein fließendes Wasser, unglaublicher Schmutz, fehlende Fensterscheiben und dementsprechend krabbelnde und fliegende Tiere überall – alles keine Zutaten für einen guten Start. Aber unsere Gruppe hat das Talent, schwierige Situationen mit vereinten Kräften und einer Menge Sarkasmus zu meistern. Zwei Tage voll endloser Diskussionen mit zwielichtigen Gestalten in noch zwielichtigeren „Maklerbüros“ (sprich: über die Theke eines kleinen Elektroladens) später konnten wir uns – noch immer hungrig und ungeduscht – in unserer neuen, zunächst unmöblierten Wohnung einrichten, in der wir uns inzwischen richtig heimisch fühlen. Immer zwei von uns teilen sich ein Schlafzimmer, wir haben eine große Terrasse, auf der wir alle gemütlich Platz finden, und unsere Küche verfügt mittlerweile sogar über einen alten Kühlschrank und eine Kochplatte.

Eine Straße am Chawri Bazar © Julia Wessel

Unsere Nachbarn sind unheimlich hilfsbereit, aber außerhalb unseres bewachten Innenhofs sind wir auf uns allein gestellt. Die alltägliche Kommunikation mit den Einheimischen bringen wir mit unserem Hindi, das wir seit Februar gelernt haben, und dem teilweise völlig unverständlichen „Indian English“ über die Bühne. Vieles, was man aus Film und Fernsehen über Indien weiß, bestätigt sich natürlich auf den ersten Blick: Die Straßen sind mehr als schmutzig und die Müllhalden wirklich schockierend, allerdings wohnen wir auch etwas außerhalb des Zentrums. Dort liegen dann Haupteinkaufsstraße und Slum unmittelbar nebeneinander. Die Menschenmassen sind an den Knotenpunkten unüberschaubar, aber bewegt man sich etwas abseits der Hauptstraßen, ist das Fortkommen gut zu meistern.
Leider können wir nicht einfach mal in der Masse verschwinden, denn zu allem Übel sind wir alle nicht nur weiß, sondern auch recht groß und daher vor allem in der Gruppe natürlich ein beliebtes Fotoobjekt. Aber dass Privatsphäre den Indern ein Fremdwort ist, ist ja auch kein Geheimnis. Auch an die Hitze gewöhnen wir uns allmählich, zumindest müssen wir nicht mehr jeden Tag mehrmals duschen. Außerdem wird es angeblich ab November kühler, auch wenn wir uns das momentan noch nicht vorstellen können.

Einige typische Fahrradrikschas in der Nähe der Uni © Julia Wessel

Die anfängliche Reizüberflutung ist überwunden und langsam kehrt eine Art Alltag in unser vorläufiges Heim ein. Aber langweilig wird es uns in den verbleibenden zwei Monaten mit Sicherheit nicht!

Zur Autorin

Julia Wessel

Julia Wessel studiert den Master Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal. Im Rahmen des Kulturaustauschprojekts „A New Passage To India“ verbringt sie drei Monate in Delhi und berichtet nun für blickfeld über ihre Erfahrungen, kulturelle Barrieren und den Alltag in der Hauptstadt Indiens.

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