Arbeitskampf statt Vorlesungen: Hochschulbesetzung in Besançon

„Mégevand ist besetzt und bleibt es auch!“ hieß es, als ich Ende März für ein deutsch-französisches Projekt nach Besançon fuhr und den Campus betrat. Zum Zeitpunkt meines Besuches lag hier bereits eine revolutionäre Stimmung in der Luft.

Campus der geisteswissenschaftlichen Fakultät in Besançon, Rue Mégevand
(Foto: Julia Grasmik)

Streiks und Proteste gegen die Rentenreform der französischen Regierung prägen seit Monaten den Alltag vieler Französ:innen. Auch Studierende schließen sich immer häufiger dem Widerstand gegen die als ungerecht empfundene Sozialpolitik von Präsident Macron an.

Die Université de Franche-Comté in Besançon (Ostfrankreich), mit der die Bergische Universität Wuppertal gemeinsam den binationalen Studiengang „Angewandte Kultur- und Wirtschaftsstudien: Deutsch-Französisch“ anbietet, gehörte zu den zahlreichen Bildungseinrichtungen in Frankreich, die im Rahmen des zivilen Widerstands von Studierenden besetzt wurden. Mehrere Wochen lang blockierte eine selbstorganisierte studentische Gruppe den Eingang zur geisteswissenschaftlichen Fakultät (Sciences du Langage, de l’Homme et de la Société, Rue Mégevand), die sich mitten im Stadtzentrum befindet.

Studierende blockieren den Eingang der Fakultät mit Sperrzäunen – Foto: Julia Grasmik

Protest durch Selbstverwaltung: Die Hochschule als politisches Experiment

Nachdem ich bei meinem ersten Versuch, den Campus zu betreten, von den Aktivist:innen abgewiesen wurde, ergab sich an einem ruhigen Samstag doch noch die Gelegenheit, meinen ehemaligen Studienort zu besichtigen. Die Wände an den Treppen, die hoch zur Bibliothek führen, waren bedeckt mit Zetteln und Plakaten, die vor allem politische Slogans gegen die Rentenreform abbildeten. Darauf heißt es beispielsweise: „NON à la réforme“ („NEIN zur Reform“) oder „La retraite avant l’arthrite“ („Der Ruhestand vor der Arthritis“). Aber auch weitergehende Forderungen nach sozialen Maßnahmen – wie zum Beispiel kostenlose Menstruationsprodukte – zierten die Türen und Fassaden der Fakultät.

Das „Amphi Donzelot“, der größte Hörsaal der Fakultät, wurde als Raum für die Versammlungen der Studierenden, sogenannte Assemblées générales, genutzt. Während die planmäßig vorgesehenen Veranstaltungen und Klausuren ausfielen oder auf unbestimmte Zeit verschoben wurden, organisierten die Studierenden gemeinsam mit solidarischen Dozierenden eigene Kurse zu alternativen Themen. So konnte man auf dem Stundenplan u. a. Selbstverteidigungs-Workshops, einen Kurs zum Thema „Die ideale Universität“ und eine Vorlesung zum Marxismus finden.

Eingang von Gebäude D, in dem sich der „Amphi Donzelot“ befindet – Foto: Julia Grasmik

Das neue Selbstbewusstsein der Studierendenbewegung

Durch die Selbstverwaltung lernten die Studierenden direkte Demokratie und setzten so gleichzeitig ein Zeichen gegen die autoritäre Politikführung der aktuellen Regierung, die als zunehmend undemokratisch wahrgenommen wird – insbesondere seit der Anwendung des Artikels 49.3, der die Durchsetzung von Gesetzen ohne parlamentarische Abstimmung ermöglicht.

Sind derartige Protestaktionen auch an unserer Bergischen Universität vorstellbar?

Als ich mit meinen französischen Freund:innen vor Ort sprach, die sich selbst in der Studierendenbewegung engagieren, verspürte ich schon fast ein wenig Neid. Die sogenannten blocages sind nicht nur Mittel des politischen Widerstands: Vielmehr noch bringen sie Studierende zusammen und stärken das Gemeinschaftsgefühl unter ihnen sowie ihr Selbstbewusstsein als gesellschaftliche Akteure. Ich denke, dass auch Studierende an deutschen Hochschulen mehr Idealismus wagen sollten – alle Eingänge des Campus Grifflenberg zu blockieren stelle ich mir jedoch etwas schwierig vor. »julia grasmik«

Zur Gastautorin Julia Grasmik

Julia Grasmik studiert an der Bergischen Universität Wuppertal den binationalen Studiengang „Angewandte Kultur- und Wirtschaftsstudien: Deutsch-Französisch“ und absolvierte 2021/22 ein Auslandsjahr an der Université de Franche-Comté in Besançon (Ostfrankreich). Anfang des Jahres kehrte sie für die Teilnahme an einem deutsch-französischen Forum zurück und berichtet nun von ihren Erlebnissen.

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