Kommentar: Verlierer der Seilbahn-Befragung ist das Vertrauen in unsere repräsentative Demokratie

Wuppertal möchte mehr Bürgerbeteiligung wagen. Das ist super. Doch dabei kann auch eine Menge schief gehen, wie die aktuelle Bürgerbefragung und die Diskussion zur Seilbahn beweisen. Damit das nicht passiert, gibt es für Wuppertal Leitlinien, die dabei helfen sollen, Bürger/-innen an politischen Prozessen zu beteiligen.

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Dass das Thema Seilbahn heikel ist, zeigt sich an der Dauer, mit der uns dieses Thema beschäftigt. Schon im September 2016 gab es ein erstes Bürgerbeteiligungsverfahren, bei dem sich zufällig ausgewählte Wuppertaler/-innen intensiv mit dem Thema auseinandersetzten. Am Ende des Prozesses entstand ein Gutachten, das die Fortsetzung des Planungsverfahrens empfahl. Dieses Beteiligungsverfahren orientierte sich an den erwähnten Leitlinien. Danach lag die Entscheidung wieder beim Stadtrat, der bis dato keinen Beschluss für oder gegen das Planfeststellungsverfahren bezüglich des Seilbahnbaus zu treffen vermochte. Eine klare Positionierung wagen nur die wenigsten Fraktionen. Stattdessen wälzen sie die Entscheidung auf einen Teil der Einwohner/-innen Wuppertals ab.

Nur zwei Seiten Zahlen, Fakten und Hintergründe zur Seilbahn-Befragung

Bis zur Europawahl am 26. Mai 2019 kann nun via Briefwahl für oder gegen den Bau der Seilbahn gestimmt werden. Als Entscheidungshilfe wurde mit dem Wahlzettel ein Informationsblättchen verschickt. Das Deckblatt nicht mitgezählt, hat es elf Seiten, also massig Platz, um alle wichtigen Zahlen, Fakten und Hintergründe rund um den Bau der Seilbahn zu beleuchten. Sollte man zumindest meinen. Die Realität sieht ein wenig anders aus. Das Heftchen hat genau eine Doppelseite mit Zahlen zur Seilbahn und einer Abbildung, die den Streckenverlauf samt der Stützpfeiler zeigt. Daneben der Hinweis auf die Webseite zu dem Projekt. Dort findet man deutlich mehr Informationen – allerdings auch nicht alle (Wo sind beispielsweise die Fahrgastzahlen?) und vor allem auch nicht so aufbereitet (z.B. Wegfall von Buslinien), dass sie für jeden verständlich sind. Hinzu kommt, dass ganz automatisch davon ausgegangen wird, dass jede/r Abstimmungsberechtigte Zugang zum Internet hat und weiß, wie er oder sie sich sicher über eine Webseite navigieren kann.

Wir wollen keine Entscheidung treffen, also müsst ihr ran

Auf den restlichen Seiten findet der/die Wähler/-in die Meinung – oder eben nicht vorhandene Meinung – der Fraktionen im Stadtrat zum Thema. Es liest sich nach einem großen: „Wir wollen keine Entscheidung treffen, also müsst ihr ran – und sorry: Informationen könnt ihr euch im Internet selber zusammensuchen!“ Ganz ehrlich? Die Aufgabe einer repräsentativen Demokratie ist es, derart wichtige und vor allem kontroverse Entscheidungen zu treffen. Den Ratsmitgliedern liegen sämtliche Zahlen und Fakten vor – wahrscheinlich auch mehr als im Internet zu dem Thema zu finden sind. Die Damen und Herren beschäftigen sich jetzt schon eine geraume Zeit damit und sehen sich dennoch außer Stande, ihre Arbeit vernünftig zu machen. Und jetzt sollen wir ran! Anstatt (barrierefrei) sämtliche Informationen zur Verfügungen gestellt zu bekommen, haben die Fraktionen das Infoblatt dazu genutzt, den aktuellen Diskussionsstand innerhalb ihrer Gruppierungen darzustellen. Auf Basis dieses Heftes kann wohl kaum jemand eine fundierte Entscheidung treffen.

Immer umfassend, rechtzeitig und barrierefrei informieren

Die eingangs erwähnten Leitlinien für Bürgerbeteiligung sehen vor, dass bei Beteiligungsverfahren immer umfassend, rechtzeitig und barrierefrei informiert wird. Das ist hier nicht der Fall. Ebenfalls leistet der Stadtrat keinerlei Beitrag zu der rege geführten, öffentlichen Debatte. Sicher kann man jetzt sagen, man wolle keinen Einfluss auf die Stimmabgabe nehmen, aber wie bitte sollen wir ohne entsprechende Moderation und Information in nicht mal einem Monat eine Entscheidung zu einem Thema treffen, über das der Rat seit Jahren keine treffen kann oder will?

Diskussionen sind emotional aufgeladen wie stellenweise unsachlich und populistisch

Die Diskussion in der Stadt findet fast ausschließlich über die Presse und die Initiativen „Pro Seilbahn Wuppertal“ und „Seilbahnfreies Wuppertal“ statt – und das nicht immer sachlich oder faktenbasiert. Die Diskussionen – online und offline – sind inzwischen ebenso emotional aufgeladen wie stellenweise unsachlich und populistisch.

Wie schief so eine Bürgerbefragung unter diesen Voraussetzungen gehen kann und wie sehr es eine Gesellschaft auf Dauer spaltet, hat man schon beim Brexit-Referendum gesehen. Dort wurde im Wahlkampf um die Stimmen ebenfalls auf das Halbwissen der Leute gesetzt, so dass eine faktenbasierte Entscheidung für viele nicht möglich war.

Nur informierte Bürger/-innen können Verwaltung und Politik bei der Entscheidungsfindung gut unterstützen

Dass unsere gewählten Vertreter/-innen das billigend in Kauf nehmen, kann man ihnen tatsächlich übelnehmen.

Keiner sagt, dass es ein Stadtverordneter leicht hat. Da müssen viele unbequeme Entscheidungen getroffen werden, aber das ist eben Teil des Jobs. Sieht man sich dazu nicht im Stande und will die Bürger/-innen entscheiden lassen, dann doch bitte umfassend informiert und moderiert. Eins ist in dem Findungsprozess der Leitlinien für Bürgerbeteiligung immer wieder klar gemacht worden: Nur informierte Bürger/-innen können Verwaltung und Politik bei der Entscheidungsfindung gut unterstützen. Jedoch darf durch ein Beteiligungsverfahren die repräsentative Demokratie nicht ersetzt oder untergraben werden. Genau das ist hier passiert. Das Credo so mancher Fraktion ist – auch laut der beigelegten Seilbahn-Broschüre – „Wir gehen mit der Entscheidung der Mehrheit der Bürger/-innen“. In dem Moment wird aus Bürgerbeteiligung direkte Demokratie. Der Stadtrat beraubt sich der eigenen Legitimation.

Egal wie die Bürgerbefragung zur Seilbahn nun ausgeht, am Ende ist der große Verlierer das Vertrauen in unsere repräsentative Demokratie. Und das wiederherzustellen, könnte länger dauern, als die Seilbahn zu bauen.

Zur Gastautorin Cathy Reinbothe

Cathy Reinbothe hat an der Bergischen Universität Wuppertal Germanistik und Philosophie studiert. Neben ihrem Job als Projektkoordinatorin in einem IT-Unternehmen sitzt sie als gewähltes Mitglied im Beirat für Bürgerbeteiligung der Stadt Wuppertal und erarbeitete 2016 / 2017 mit anderen Bürger/-innen, Verwaltungsmitarbeiter/-innen und Politiker/-innen die Leitlinien für Bürgerbeteiligung. Nebenher engagiert sie sich mit der Initiative Opendatal für offene und transparente Daten in der Stadt.

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  1. Schmeckt für mich heimlich ein klein wenig nach jemanden hat das Ergebnis nicht gefallen. Trotzdem gut durchdacht, formuliert und argumentiert… Es wurde ja über die Seilbahn diskutiert, es wurden Informationen, Pros und Kontras über sämtliche Medien über einen längeren Zeitraum verbreitet und meiner Meinung nach, auch ausreichend genug um als ‚dummer normal Bürger‘ sich eine Meinung dazu bilden zu können. Ein ausführlicheres Heftchen von der Stadt, deren Rat ja lange zerstritten aber vom Trend her für die Bahn war, wäre vielleicht auch manipulativer als das was in der Presse über die Jahre verbreitet wurde. So viel zu meinem Vertrauen in die Politik 😉 Wenn die Bürger schon gefragt werden muss auch mit dem Ergebnis klargekommen werden. Ob man die Bürger hier überhaupt befragen und beteiligungen soll? Von mir ein klares ja in diesem Fall. Es wurde schon seit Jahren auf der Straße darüber diskutiert ob eine Seilbahn was für Wuppertal wäre oder nicht. Man darf dem Bürger, der ja schließlich die Parteien gewählt hat, durchaus auch zutrauen andere Entscheidung zu treffen – oder man muss vielleicht das ganze System der demokratischen Wahlen überdenken. Wie in diesem Fall direkte Demokratie angewendet wird und sich der Rat an der Befragung orientiert und mit der Mehrheit geht, finde ich durchaus positiv und begrüßenswert. Wenn gesagt wird der Stadtrat beraubt sich dadurch der eigenen Legitimation kann ich nur sagen, selbst wenn es so gesehen werden will, hat er trotzdem richtig gehandelt, da die Befragung nach jahrelanger Diskussion zu einer Entscheidung geführt hat. Manchmal macht es einfach sinn Bürger direkter ein zu beziehen und dass muss man, wie ich finde, nicht grundsätzlich als Schwäche oder als problematisch auslegen wenn es der Problemlösung dient, auch gegen vorherige Beschlüsse. Findet dies Art von Entscheidungsfindung ständig statt, sollte man tatsächlich ernsthaft überlegen wozu man Volksvertreter gewählt hat. Bisher sehe ich das aber als unproblematisch und sehe auch kein Drama dass dem Ansehen des Stadtrates enorm geschadet hat.

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