WUPPERTAL TANZT. Pina Bausch Galerie: Die Hauswand ist die neue Tanzbühne

Vom Osten bis nach Westen, von Tokio bis nach Los Angeles ließ sich Pina Bausch während ihrer Reisen von der Umgebung inspirieren und rief ihr Welttheater ins Leben. Die internationalen Werke, die in Zusammenarbeit mit den einheimischen Tanzfachleuten entstanden sind, bringen den Zuschauer:innen die Realität des jeweiligen Ortes nahe, die mit der künstlerischen Umsetzung im Tanz harmonisiert. Diese Erfahrung spiegelt sich nun in dem von Valentina Manojlov geleiteten Projekt „WUPPERTAL TANZT: Pina Bausch Galerie“ wider.

Die ersten fünf Werke - Fotos und Collage: Lena Nemirowski

Momentaufnahmen der Tanzstücke, die Tanzbilder werden nun zu Wandbildern. Die Parallele zu Pina Bausch lässt sich hier kaum übersehen: Genauso wie die Wuppertaler Tänzerin und Choreographin arbeitet Valentina Manojlov mit den internationalen Künstlern, die jeweils einen persönlichen und kulturellen Bezug zu einem der Tanzstücke haben und diesen nun mit Pinseln und Spraydosen zum Ausdruck bringen. Die Hauswand ist jetzt die neue Tanzbühne.

Case Maclaim: Pina Bausch in „Café Müller“

13. bis 26. August 2024, Bundesallee 221 (Uraufführung des Tanzstückes: 20. Mai 1978)

„Cafe Müller“ von Case Maclaim – Foto: Lena Nemirowski

Stadtzentrum. Bundesallee. 300 Meter von dem zukünftigen Pina Bausch Zentrum entfernt, da tanzt sie, die Frau der Stunde, an der mehrteiligen Fassade des Immenkötter-Hauses.

Überlebensgroß streckt sie in einer sinnlichen Geste ihre Hände nach vorn, ihre Augen sind geschlossen, ihre Muskeln angespannt, sie gibt sich völlig und ganz dem Moment hin … Genau in diesem Moment wurde Pina Bausch 1995 während der Aufführung ihres Tanzstückes „Café Müller“ von der französischen Pressefotografin Anne-Christine Poujoulat eingefangen und genau diesen Moment hat der Frankfurter Künstler Case Maclaim für sein „Pina Mural“ ausgewählt. Das Wandbild beeindruckt durch dynamischen Fotorealismus. Es strahlt förmlich Sehnsucht, Sinnlichkeit und Hingabe aus. Alles in allem eine würdige Darstellung einer in ihr Werk verliebten Tänzerin und Choreographin, die zu einer Kultfigur der internationalen Tanzszene wurde.

Andrea Buglisi: „Palermo, Palermo“

29. Juli bis 15. August 2024, Elberfelder Str. 23 (Uraufführung des Tanzstückes: 17. Dezember 1989)

„Palermo, Palermo“ von Andrea Buglisi – Foto: Lena Nemirowski

Es ist immer ganz schön viel los auf der Friedrich-Engels-Allee, vor allem da, wo Barmen an Elberfeld grenzt. Umso ruhiger wirkt die Elberfelder Straße, die von dem großen Geschehen abzweigt. Oder wohl eher wirkte? Das expressive Wandbild von Andrea Buglisi bricht nun die Ruhe. Zwei Frauen tanzen vor dem türkisenen Hintergrund, strecken unisono ihre Arme entgegen der pinken Sonne. Zwei Pina Bausch Tänzerinnen, Tsai-Chin Yu und Ophelia Young, die 2019 mit ihrer ausdrucksvollen Darstellung im Tanzstück „Palermo Palermo“ das Publikum begeisterten, sind nun an der Hausfassade im öffentlichen Raum verewigt worden.

Das Mural ist bereits vom MediaMarkt (Bendahler Straße) gut zu sehen, dennoch – Achtung: Geheimtipp für die Graffiti Hunter! – lässt es sich vom Parkhaus Wicküler City (obere Etage) am besten fotografieren.

Tamara Alves: „Masurca Fogo“

17. bis 26. September 2024, Kasinostr. 27 (Uraufführung des Tanzstückes: 4. April 1998)

„Masurca Fogo“ von Tamara Alves (ursprüngliche Version) – Foto: Lena Nemirowski

Schwebebahnstation Ohligsmühle, von da aus ist sie sehr gut zu sehen, die Frau im roten Luftballonkleid. Gemalt von der portugiesischen Künstlerin Tamara Alves, deutet sie auf eine unvergessliche Szene aus dem 1998 in Lissabon entstandenen Tanzstück „Masurca Fogo“ hin: Eine (nur) in roten Luftballons gekleidete Frau erzählt von einer narzisstischen und nach Aufmerksamkeit strebenden Lehrerin aus ihrer Kindheit, während sie an die um sie herum stehenden Männer Zigaretten verteilt und anzündet. Anschließend bringen die Männer die Luftballons mit ihren Zigaretten zum Platzen …

Auch die auf dem Mural abgebildete Frau hält eine Zigarettenschachtel in der Hand. Alves verpasst dem Werk allerdings ihre eigenen Töne. Hier werden das Feuer und die Leidenschaft in den Vordergrund gerückt. Die blonden Haare der Bildprotagonistin gleichen den Flammenzungen, die roten Luftballons verstärken den Effekt. „I am the fire“ lautet die Inschrift des Murals.

„Masurca Fogo“ von Tamara Alves (Neugestaltung) – Foto: Lena Nemirowski

Update: Im Zeitraum vom 2. bis 5. November 2024 fand bei dem „Masurca Fogo“ Mural eine Neugestaltung statt. Die Künstlerin Tamara Alves kam erneut nach Wuppertal, um die namenlose blonde Frau nun in die Pina Bausch Tänzerin und Probenleiterin Julie Shanahan zu verwandeln.

Shanahan, die die Luftballon Frau in der ikonischen Szene spielte, wirkte ebenfalls in vielen anderen Pina Bausch Kreationen mit. Darunter sind die in der Wuppertaler Open Air Galerie nun verewigten Tanzstücke „Palermo, Palermo“, „Ten Chi“ und das heute noch laufende Stück „Água“ erwähnenswert. Somit darf sich die Stadt Wuppertal nach Tsai-Chin Yu und Ophelia Young nun über eine weitere Pina Bausch Ikone freuen, die auf einer ihrer Fassaden tanzt.

L7matrix: „Água“

16. bis 20. August 2024, Friedrich-Ebert-Straße 153 (Uraufführung des Tanzstückes: 12. Mai 2001)

„Água“ von L7matrix – Foto: Lena Nemirowski

Bewegung ist die Quintessenz des Brasilienstücks „Água“. Bewegung ist das Hauptmotiv der Werke des brasilianisch-französischen Künstlers L7matrix. Sein expressionistisch-surreales Mural in der Friedrich-Ebert-Straße stellt keine bestimmte Szene aus dem 2001 entstandenen Tanzstück dar, sondern bildet vielmehr sein ganzes Wesen ab. Dynamisch und verspielt wie das Wasser im Sonnenlicht tanzen die blau-weiß-violetten Wirbel an der Hauswand und formen mit eleganter Leichtigkeit eine Frauenbüste. Genau so ist das Tanzstück „Água“: unbeschwert, energisch und sinnlich.

JUURI: „Ten Chi“

15. bis 31. Juli 2024, Domagkweg 46 (Uraufführung des Tanzstückes: 8. Mai 2004)

„Ten Chi“ von Juuri – Foto: Lena Nemirowski

Ten Chi ist das jüngste von den hier beschriebenen Tanzstücken. Genauso wie „Àgua“ wird es von vielen Kritikern als federleicht beschrieben. „Ten Chi“ bedeutet in etwa „Himmel und Erde“. Hier geht es also um die Kontraste, aber auch darum, wie diese Kontraste sich gegenseitig ausbalancieren. Dieses Motiv greift die japanisch-amerikanische Künstlerin JUURI auch in ihrem durch das Tanzstück inspirierten Mural auf: Eine Frau und ein Mann sind darauf zu sehen, fast wie eine Spiegelung an der unsichtbaren diagonalen Symmetrieachse. Die obere und die untere Hälfte des Bildes greifen wörtlich ineinander ein und erinnern somit an das Yin-und-Yan-Symbol. Die Farben stehen auch im Kontrast zueinander, wobei es sich hier keineswegs um einen Schwarz-Weiß-Kontrast handelt. Vielmehr ist es ein zartes Olivengrün gegen ein prächtiges Magenta und ein leichtes Rosa gegen ein bestimmendes Dunkelbraun. Über das ganze Bild verteilen sich weiße Kreise. Sie spielen auf die Kirschblütenblätter an, den wahren Protagonisten des 2004 entstandenen und durch Japan-Reisen inspirierten Tanzstückes.

Im Gegensatz zu den vier anderen Murals ist JUURIs Werk nicht an der Hauptverkehrsader im Stadtzentrum zu finden, sondern in einem ruhigen Wohnviertel. Hier hat sich die Künstlerin ähnlich wie Case Maclaim der Herausforderung einer mehrteiligen Fassade gestellt und diese mit Bravour gemeistert: Das Werk wirkt somit wie ein fesselndes Puzzle, das sich nur unter einem bestimmten Blickwinkel zu einem einheitlichen Bild zusammensetzt.

Das Ten-Chi Mural war das erste Wandbild, das im Rahmen des Projekts „WUPPERTAL TANZT“ Pina Bauschs Heimatstadt zieren durfte. Vier weitere folgten danach. Allerdings ist das Projekt damit nicht abgeschlossen und wir dürfen uns auch im nächsten Jahr auf noch mehr Tanzgeschichten freuen, die von internationalen Künstlern auf den Hausfassaden Wuppertals neu erzählt werden. »ln«

Text: Lena Nemirowski

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