„Warum nicht dorthin fahren, wo kein Hilfskonvoi hinfährt?“

Fast 10.000 Tote, mehr als doppelt so viele Verletzte und eine vollkommen zerstörte Infrastruktur sind die Bilanz des Erdbebens in Nepal 2015. Die Hilfs- und Spendenbereitschaft war groß. Die mediale Aufmerksamkeit verflog hingegen schnell: Krim-Krise, Flüchtlingsdrama und andere Themen ließen eines der ärmsten Länder der Welt aus den Nachrichten verschwinden. Doch nicht aus den Gedanken von Benedikt Orlob. Der 24-jährige Chemie-Student der Bergischen Universität half zwischen Oktober 2015 und März diesen Jahres beim Aufbau in Nepal mit und zwar auf eigene Faust. Seine Eindrücke und Erfahrungen teilte er kürzlich mit blickfeld.

Benedikt Orlob half beim Wiederaufbau Nepals und organisierte eine durch den Freundeskreis finanzierte Hilfsaktion im Erdbebengebiet.

Benedikt wollte unabhängig sein und warb direkt bei einer nepalesischen Organisation ein – privat finanziert. Über gute Kontakte verfügt er seit langem: Kurz nach dem Abi 2011 verbrachte er ein Volontariat in Nepal. Über die Kaarster Nepalinitiative ging es in ein Kinderheim in Pokhara, wo er vier Monate verbrachte. Unglücklicherweise brach er sich dort den Fuß, weswegen er nur eingeschränkt mobil war. So folgte die Entscheidung: „Ich komme wieder!“

Nach dem Erdbeben stand sein Entschluss fest

Die Folgen des Erdbebens sind weiterhin sichtbar © Benedikt Orlob

Ein kleiner, prüfungsbedingter Leerlauf während des Studiums ermöglichte den zweiten Nepal-Trip. Mitte Oktober 2015 ging es los. Nach einer kleinen Zwangspause in der Hauptstadt Kathmandu wegen zweier Volksfeste und der chronischen Benzinknappheit im Land ging es nach Pokhara, um dort das wortwörtliche „Nichts“ zu erleben: „Wegen der Benzinknappheit waren die Schulen geschlossen. Strom gab es, der Trockenzeit geschuldet täglich immer weniger, auch keinen.“ Anfangs half er mit, eine Farm aufzubauen und Äcker neu zu bestellen. Später kümmerte er sich um die Kinder in einem Heim in Pokhara und unterstützte die lokale Organisation Child Welfare & Education bei der Planung und Finanzierung von Hilfsprojekten. Überhaupt ist Organisation eine Stärke von Benedikt: Er ist Gruppenleiter, Ferienbetreuer und Koordinator des Schulsanitätsdienstes bei der Jugendorganisation des Roten Kreuzes (Jugendrotkreuz).

Auf dem Weg ins Erdbeben-Epizentrum

In der höher gelegenen, eher kälteren Region Gorkha – mitten im ersten Epizentrum – verteilte er Decken und andere Güter an Hilfsbedürftige. „Diese nahmen zum Teil mehrstündige Märsche auf sich, um zu den Verteilungspunkten zu gelangen.“ Zu vielen Gemeinden, die Bene unterwegs gesehen hat, führten keine Straßen oder die Infrastruktur war ein Jahr nach dem Beben immer noch völlig zerstört. Da kam ihm eine Idee: „Warum nicht dorthin gehen, wo kein Hilfskonvoi hinfährt?“

Freunde finanzierten Hilfsaktion mit rund 1.300 Euro

Der fertige Einkauf © Benedikt Orlob

Doch stand anfangs die Finanzierung auf der Agenda. Mützen, Pullover und Socken – der gesamte Bedarf für Kinder musste erst eingekauft werden. „Ich startete einen Aufruf auf Facebook und hoffte auf ein paar Hundert Euro“ – es wurden deutlich über Tausend Euro oder umgetauscht rund 100.000 Rupien, ausgezahlt in Zehntausend Scheinen (10 Euro = 1000 Rupien). Damit kaufte Bene eine Marktstraße leer und hatte anschließend drei Säcke mit je 35kg Winterkleidung. Genug, um viele Kinder zu versorgen. Seine Aktion sprach sich herum und er erhielt überall großzügige Rabatte. Jetzt war die Logistik an der Reihe.

Zwei Träger, 800 Höhenmeter und eine brennende Sonne – der Weg nach Ghaychowk

Mit dem Bus kam Benedikt bis nach Balua. Von dort ging es zu Fuß weiter. Er warb zwei Träger an, um die Strecke nach Ghaychowk zu bewältigen. Die dauerte rund drei Stunden. Am nächsten Tag ging es dann nach Dhanshira. Angekommen fand er einerseits ein komplett zerstörtes Dorf mit einer Behelfsschule vor, andererseits viele Menschen und vor allem Kinder, die ihn herzlich und überglücklich empfingen. „Ich bekam Blumenketten und massig Segnungen. Der Schulrektor hielt eine Rede und abends gab es ein Dorffest für mich.“ Sie sangen für ihn: „Der große Fremde ist gekommen und hat uns Hoffnung gebracht.“
Die überschwängliche Dankbarkeit hat Bene sehr bewegt. Schon seine beiden Träger wollten seiner Hilfsbereitschaft wegen auf ihren Lohn verzichten – Bene gab ihnen das Doppelte des üblichen Lohns. Überall wurde er auf einen Tee und ein kleines Mahl eingeladen oder man beschenkte ihn mit zahlreichen Dingen. Trotz der großen Notlage erfuhr Bene viel Lebensfreude, Offenheit und Gastfreundschaft von der nepalesischen Bevölkerung.

Schwarzmarkt: Ein Liter Diesel kostet fünf Euro

Verteilung im Dorf © Benedikt Orlob

So schön für Benedikt dieses Erlebnis war, so desaströs empfindet er die innenpolitische Lage Nepals: „Die Regierung kommt nicht in die Pötte, die Menschen haben keine Perspektive, das Land ist bankrott. Die staatliche Verwaltung ist von Korruption durchzogen, das öffentliche System bricht regelmäßig zusammen. Die Wirtschaft ist am Boden, es herrscht oftmals Rohstoffknappheit. Ein Liter Diesel kostet auf dem Schwarzmarkt schon mal umgerechnet fünf Euro.“
Durch die staatliche Verwaltung werde es zudem sämtlichen Hilfsorganisationen vor Ort erschwert, Hilfe zu leisten. Ob große oder kleine Spenden, alle würden durch den Staat überwacht werden.

Was hat die Nepal-Reise mit ihm gemacht? „In der Bundesrepublik haben wir geordnete Verhältnisse und keine Versorgungsengpässe. Wir müssen nicht stundenlang anstehen, um Gas zum Kochen oder Benzin zum Fahren zu bekommen. Das schätze ich noch mehr wert als zuvor.“ Deshalb, aber auch wegen der zahllosen anderen Erfahrungen, kann er jedem eine solche Reise nur ans Herz legen. Sein Engagement geht indes auch in Deutschland weiter: Er hat eine Schulpatenschaft für ein kleines Mädchen übernommen und hilft auch aus der Ferne weiter. »mw«

Weitere Eindrücke von Benedikts Reise

Alle Fotos © Benedikt Orlob

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