Keine „Betriebsnudel“ im „Haus der Widersprüche“ werden

Studium der Philosophie, Musikwissenschaft und Kunstgeschichte in Bochum, Freiburg und Basel, nach dem Magister die Promotion und Habilitation an der Bergischen Universität, im Anschluss Gastprofessuren in Shanghai/China, Wien und Stockholm – wer nach dem Werdegang von Peter Trawny fragt, begibt sich auf eine Reise um die halbe Welt. Startpunkt bleibt immer – allen (ausländischen) Angeboten zum Trotz – die Bergische Universität Wuppertal. Hier gründete Peter Trawny 2012 das erste Martin-Heidegger-Institut Deutschlands, was seitdem international ein hohes Renommee genießt. In Wuppertal edierte er die umstrittenen „Schwarzen Hefte“ Heideggers, deren Herausgeber Trawny ist. Zudem ist er bei den Studierenden beliebt – genug Gründe, mit ihm über seine Arbeit, sein Wirken und seine Zukunft an der Bergischen Uni sowie über seine Sicht zum System „Universität“ zu sprechen.

blickfeld sprach mit Philosophie-Dozent Peter Trawny

Mit der Gründung des Martin-Heidegger-Instituts griff Trawny eine seit Jahrzehnten existierende, damals von seinem Doktorvater Prof. Dr. Klaus Held formulierte Idee auf. Held gilt als „Gründungsvater“ der Philosophie an der Wuppertaler Universität und widmete sich in seiner Forschung der Fortführung der von Edmund Husserl begründeten Phänomenologie und somit zugleich Husserls bedeutendstem Schüler: Heidegger.

Gründung des Heidegger-Instituts scheiterte anfangs an Heidegger selbst

„Er wollte ein solches Institut zu Lebzeiten nicht“, weiß Trawny. Heideggers Familie sah dies später anders und unterstützte die 2012 durch Peter Trawny erfolgte Institutsgründung an der Uni Wuppertal. Die Strahlkraft des von Trawny geleiteten Instituts erreicht internationale Sphären. „Meine 20 Doktoranten kommen aus allen Ecken der Welt und ich bekomme stetig neue Anfragen“, berichtet Trawny. Zu den von ihm und seinem Team organisierten Workshops und Vortragsreihen kommen philosophische Größen wie Donatella Di Cesare vom Collegio Rabbinico Italiano in Rom oder Jean-Luc Nancy von der Université Marc Bloch in Straßburg. Trawny selbst steht auch medial im Fokus: So berichten derFreitag und Cicero über ihn. Darüber hinaus erschien kürzlich das Buch „Der Fall Trawny“ beim Verlag Turia + Kant, das sich kritisch mit den „Schwarzen Heften“ Heideggers auseinandersetzt.

Heidegger – aber nicht nur

Veranstaltungsplakat

Trawny schreibt auch selbst und ist als freier Autor tätig – nicht nur zum Thema Heidegger. So veröffentlicht er Gastartikel in der FAZ, Die Zeit und anderen Medien und richtet sich mit Themen wie Europas Zukunft im Angesicht der Flüchtlingskrise auch an ein nicht akademisch geprägtes Publikum. Dessen Perspektive kennt er aus seinem „eher proletarischen“ Elternhaus – wie er es selbst beschreibt. Auch Trawnys Lehrveranstaltungen sind thematisch breit aufgestellt, unter Studierenden beliebt und zum Teil überlaufen, was sich auch am Prüfungsmarathon zeigt, den Peter Trawny mit rund 100 Prüflingen jedes Semester zurücklegt.
Mit den vielen Veröffentlichungen, dem großen Engagement an der Uni, der Leitung eines Instituts und dem internationalen Renommee sollte man meinen, dass Trawny einen eigenen Lehrstuhl an der Uni innehält und den Titel Professor trägt. Den Titel trägt er, jedoch mit dem Zusatz „außerplanmäßig“, was euphemistisch umschreibt, dass er das macht, was seine hauptberuflichen KollegInnen machen, dafür aber kein Geld bekommt. Er ist Privatdozent und gehört damit zu dem, was medial oft als akademisches Prekariat betitelt wird. Ein Opfer des Systems? Wer Peter Trawny zuhört, merkt schnell, dass er sich nicht als solches sieht – deutliche Kritik am System äußert er trotzdem.

Privatdozenten – die Tagelöhner des 21. Jahrhunderts

Natürlich könnte das Leben einfacher sein – auch für Peter Trawny. Autor, Lektor, Dozent, Institutsleiter, Tagungsgast(geber), Doktorvater, Herausgeber – Trawny muss häufig die Jacken wechseln. Der Zeit- und Organisationsaufwand ist hoch, der finanzielle Ertrag überschaubar, im universitären Bereich eher unbedeutend mit der Tendenz zur Null. Trawnys erster Kritikpunkt betrifft das Modell des Privatdozenten. Kurze Einführung: Wer eine Habilitationsschrift sowie eine „Venia Legendi“, also eine Lehrerlaubnis hat, kann als Privatdozent an Hochschulen lehren. Dieser Status gilt nicht unbegrenzt und kann auch aberkannt werden, wenn nicht kontinuierlich universitäre Lehrveranstaltungen angeboten werden. Das führe laut Trawny dazu, dass Privatdozenten symbolisch vergütete oder gar unentgeltliche Veranstaltungen anbieten müssen, um ihren Status zu behalten – extreme Mobilität in Sachen Hochschulstandort vorausgesetzt. Nur wer Privatdozent bleibt, hat Chancen (aber mitnichten eine Garantie) auf eine Professur. Bis dahin sparen Unis und Länder eine Menge Geld.

Eine Betriebsnudel, die Drittmittel eintreiben soll

Heidegger-Tagung © xyz?

Der „Appell zur Erhaltung des Martin-Heidegger-Instituts an der Bergischen Universität Wuppertal“ machte vor einigen Monaten die Runde. Studierende, die am Institut promovieren, starteten die Online-Petition in Eigeninitiative. So wäre das Institut, das „ein wirkungsmächtiges internationales Aushängeschild in den Geisteswissenschaften“ der Wuppertaler Universität sei, aufgrund „fehlender Finanzierung“ in „seinem Bestand“ gefährdet. Die mehrsprachige Petition ist an Rektor Lambert T. Koch adressiert. Persönlichkeiten wie der US-amerikanische Philosoph John Sallis vom Boston College oder Jean-Luc Marion, einem der bedeutendsten lebenden Philosophen Frankreichs, hatten es unterzeichnet.
Die angesprochene Hochschulleitung sieht sich nicht verantwortlich – blickfeld fragte nach: Die Finanzierung sei Sache der jeweiligen Fakultät, eine vollständige Ausfinanzierung von Instituten und Co. gebe es ohnehin nicht, evtl. einen Zuschuss sowie unterstützende Strukturen wie Homepage, Raum usw. Alles Weitere sei über Drittmittel zu finanzieren, bei deren Anwerbung die Uni-Leitung unterstütze.
Dieses Grundprinzip, was für alle universitären Forschungs- und Lehrbereiche gilt, und zugleich zweiter Kritikpunkt Trawnys ist, betitelt er als „anti-philosophisch“. Er fragt sich, wo dabei der „freie Geist“ und die „persönlichen Projekte“ bleiben, denn derzeit sei der Wissenschaftsbetrieb auf „Produktion, Resultate und Output“ fokussiert. Eine Laufbandproduktion, bei der Projekt auf Projekt im Akkord folgt. Aus Trawnys Sicht sei das auch der Grund, warum die deutsche Wissenschaft nicht mehr mit Persönlichkeiten wie Adorno oder Heidegger begeistern könne.

Auch Leistung bringt es nicht

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Sind Hochschulen „durchökonomisiert“ und es zählt nur die individuelle Leistung? Ein Blick in Trawnys Vita und dem damit verbundenen Engagement zeigt, dass dieser Grundsatz nicht passt. Nach eigenen Bekundungen könnte er natürlich Drittmittel für das Heidegger-Institut einwerben, welches er derzeit ehrenamtlich, unterstützt von zwei freiwillig mitarbeitenden Studierenden, leitet. Hinterfragt werde dies von den Uni-Verantwortlichen nicht, lediglich zur Kenntnis genommen – „business as usual“ in der universitären Bürokratie für Trawny. Er könnte sich einordnen, zur „Betriebsnudel“ werden, was womöglich stressfreier und finanziell erträglicher wäre. Doch er schätzt seine „Position am Rand“. Sie mache ihn freier und lasse ihn „auch mal eine neue HBO-Serie gucken“, während andere Projektantrag nach Projektantrag schreiben und ständig gegenüber Finanziers begründen müssen, warum ihre Arbeit „akademisch wertvoll“ sei. Laut aktuellem Rektoratsbericht nahm die Universität insgesamt über 33 Millionen Euro per Drittmittel ein. Das sind über 17% des ca. 190 Millionen Euro schweren Uni-Haushaltes – Tendenz steigend.

Universitäres Engagement reduzieren?

Das „Haus voller Widersprüche“, seine Alma Mater, möchte Trawny nicht verlassen, auch wenn er schon Angebote u.a. aus China hatte. Trotz „Indifferenz und fachidiotischem Egoismus“, die an „dieser wie an jeder anderen Universität herrschen“. Als Alternative zum sich Einordnen bliebe nur das universitäre Engagement zu reduzieren: Deutlich weniger Lehrveranstaltungen, womöglich die Auflösung des Heidegger-Instituts. In der gesamten Hochschullandschaft wäre Trawny gewiss nicht der Erste, der Konsequenzen aus dem System ziehen würde. Aus Uni-Sicht ist das „business as usual“. »mw«

  1. Dr. Phil. Vesna Batovanja

    Das ist schade, dass so einer hervorragender Kenner nicht nur Heideggers Philosophie in Deutschland kein Lehrstuhl verdient. Seine Tätigkeit wäre für jede Fakultät ein Gewinn. Ich selbst entedckte Peter Trawny seit der Veröffentlichung „Schwarzen Hefte“ Heideggers, das ist für mich eine angenehme Entdeckung. Alle Texte, die ich von ihm in letzter Zeit gelesen habe, halte ich für sehr nützlich, insbesondere für jene, die sich mit Heideggers Philosophie befassen. Nur Jemand, der so gut eine Philosophie versteht, kann über sie so klar schreiben und Anderen so erfolgreich zu übermitteln. Da ich selber mit Heideggers Philosophie promoviert habe und mich mit ihr fast jahzehntelang befasse, darf ich darüber etwas sagen (urteilen) In absehbarer Zeit sollte meine Rezension über sein Buch : Martin Heidegger-Eine kritische Einführung- im Radio emitiert worden und dann in einer Zeitschrift veröffentlicht worden. Dr. Phil. Vesna Batovanja

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