Eine halbe Million Aufrufe über Nacht
Lisolna heißt Lina, ist 28 Jahre alt und eine Architekturstudentin am Campus Haspel in Wuppertal. Sie ist in Tunesien geboren und nach ihrem Abitur für das Studium nach Deutschland gezogen. Hier gründete sie mit einer Freundin eine Wohngemeinschaft und fing an, Elektrotechnik zu studieren. Doch schnell merkte sie, dass dieses Studium nichts für sie ist und wechselte die Fachrichtung. Mit dem Wechsel ist sie heute sehr zufrieden und arbeitet passend dazu in einem Architekturbüro. Der Start ihrer Social Media Karriere begann mit einem Job in einem großen Möbelhaus, der ihr eigentlich nur dabei helfen sollte, finanziell besser über die Runden zu kommen.
Am 6. Dezember 2022 postete Lina ein TikTok mit der Überschrift: „Episode 2 : free lunch at my work.“ Sie erklärt dazu: „Ich habe gesehen, wie gut das Essen aussieht und mir gedacht: Das ist so cool, das muss ich den Leuten zeigen.“ Plötzlich geht ihr TikTok über Nacht viral und hat eine halbe Million Aufrufe. Vor der Veröffentlichung des Videos folgten Linas Profil 200 Menschen, eine Woche danach waren es bereits 20.000 Follower:innen. Parallel dazu veröffentlicht Lina viel aus ihrem Leben, zum Beispiel, in welche Cafés sie geht. Dabei ist ihr eine Sache wichtig: Es muss immer authentisch sein. Sie produziere nur Content, der ihr echtes Leben widerspiegeln soll und verstellt sich nicht für die Kamera.
@lisolna Episode 2 : free lunch at my work 🙌🏻 #fyp #foryoupage #foru #foodtiktok #foodtok #worklife #workfood #deliciousfood #freefood ♬ Clouds – Luke Faulkner
Mit diesem Video geht Lina zum ersten Mal viral (Video: @lisolna)
„In Tunesien sagt man: Das Auge isst zuerst“
Lina meint, dass ihre Videos so gut ankommen, weil man sich dadurch einen Einblick verschaffen kann, wie der Alltag an anderen Unis aussieht. Sie findet zudem, dass das Essen an der Bergischen Universität Wuppertal sehr ästhetisch aussieht und, dass das deutsche Universitätssystem sehr unterschätzt wird. Besonders alle Gerichte, die frisch im Wok zubereitet werden, sprechen Lina an: „In Tunesien sagt man: Das Auge isst zuerst.“ Ihr Geheimtipp: Grünes Curry mit Garnelen. Lina muss lange überlegen, ob sie etwas an der Wuppertaler Uni-Cafeteria auszusetzen hat. Es fällt ihr schwer, etwas Negatives zu nennen, auch, weil sie weiß, wie das Essen an anderen Unis aussehen kann: „Ich finde das Essen in Wuppertal wirklich lecker, und die Köchinnen und Köche bereiten es auf eine so ansprechende und ästhetische Weise zu, dass man ein komplettes Erlebnis bekommt.“ Auch, weil man in einem Restaurant für dasselbe Gericht schnell 18 Euro zahlen kann. Ein konstruktiver Verbesserungsvorschlag wäre für sie aber: mehr frisches Obst als nur Äpfel und Bananen.
Die Art und Weise, wie Lina die TikToks aufnimmt, führt dazu, dass sich die Zuschauer:innen ihren Content gerne ansehen: „Ich habe Kommentare bekommen, dass Leute das Gefühl haben, sie hätten das Essen vorbereitet. Das liegt an der Perspektive.“ Ihre Freundin Latifa, die selbst ebenfalls Content-Creator:innen ist, fügt hinzu: „Die Leute haben das Gefühl, dass sie mitessen würden.“
Unter dem Personal der Cafeteria ist Lina schon ziemlich bekannt: „Wir sind befreundet, sie freuen sich auf die TikToks und sind auch damit einverstanden, wenn man sie auf den Videos sieht. Wenn ich komme, werden auch Witze gemacht, dass man lächeln soll und alles sauber sein soll, weil wir heute viral gehen. Die sind alle richtig nett.“ Das bestätigt auch Koch Christian Martini: „Wir sind sehr positiv überrascht über das Ganze. Die Leute sprechen mich darauf an und loben, wie lecker das alles hier aussieht und, dass das Essen günstig ist. Sie sagen immer: Hier ist das Essen viel leckerer als an anderen Unis.“
Die Verfasser:innen der Kommentare unter den Videos beneiden Lina stets um das leckere Essen. So schreibt ein User: „Studierst du zufällig bei Vapiano?“ Und bekommt knapp 10.000 Likes für seinen Kommentar. Andere TikToker:innen vergleichen das Essen an ihren Unis mit den Angeboten der Wuppertaler Universität und meinen, dass man für den Preis, den Lina zahlt, an ihren Unis nur ein trockenes Brötchen bekommen würde. Auch beliebt: Die Frage, ob Lina an einer Privat-Uni studiert.
Unter einem TikTok mit zwei Millionen Aufrufen und 183.000 Likes schreibt eine Userin: .„Das ist einfach die beste Werbung für die BUW.“ Am Campus geht mittlerweile das Gerücht herum, dass Lina für ihren Content bezahlt wird. Wir fragen, ob das stimmt. Lina lacht und meint: „Nein, aber das wäre richtig gut. Bitte Uni Wuppertal, sponsert mich. Ich zahle immer für mein Essen. Manchmal bin ich auch da und sie sagen, dass es kein Essen mehr gibt.“ Lina wird also wie alle anderen Studierenden behandelt und bekommt im wahrsten Sinne des Wortes keine Extrawurst.
@lisolna Lunch at university ✨👌🏻 #food #foodtiktok #lunch #lunchtime #yummy #collegelife #viralfood #deliciousfood ♬ New York Herald Tribune (A bout de souffle) – Martial Solal
Eins der Videos von Lina mit den meisten Aufrufen (Video: @lisolna)
Dafür bekommt Lina von anderen Unternehmen viele Anfragen für mögliche Kooperationen. Doch sie lehnt diese ab. Sie verdient bisher kein Geld mit den Videos: „Es ist mir wichtig, wenn ich mit einem Unternehmen arbeite, dass ich wirklich daran glaube und die Produkte ausprobiert habe. Ich will authentisch bleiben.“ Deswegen hatte Lina bisher nur eine bezahlte Kooperation mit ihrem alten Arbeitgeber. Da wusste sie aber ganz sicher, dass das Unternehmen gute Werte vertritt und sie hinter dem Konzept komplett stehen kann.
„Nicht alle Kommentare sind nett“
Lina ist glücklich darüber, wie sich ihr Social Media Werdegang entwickelt hat: „Ich bin sehr, sehr dankbar dafür. Ich schätze es wert. Es ist nicht selbstverständlich und ich liebe meine Community.“ Aber sie weiß auch, dass die vielen Klicks und Likes mit Schattenseiten verbunden sind: „Ich kam damit auch erstmal nicht zurecht. So viele Leute, so viel Kommentare und nicht alle Kommentare sind nett.“ Auch, dass Lina nur selten ihr Gesicht in den TikToks zeigt, wurde oft hinterfragt oder kommentiert. Lina sagt zwar, dass vielleicht zwei Prozent der Kommentare negativ sind, weil TikTok viele davon selbst filtert, aber auch schon diese Zahl kann die mentale Gesundheit stark beeinträchtigen. Ein Vorfall am Anfang ihrer TikTok-Karriere zeigt, dass das plötzliche Auftreten in der Öffentlichkeit beängstigend sein kann. Als Linas persönliche Adresse veröffentlicht wird, macht sie sich Sorgen: „Ich bin in meiner eigenen Bubble und denke, dass mich niemand sieht, aber ich vergesse die 200.000 Leute, die anonym sind. Ich weiß nicht, wer dahintersteckt, ich kenne sie auch nicht.“ Mit der Zeit hat die TikTokerin gelernt, dass man Vieles ausblenden muss und nicht alles persönlich nehmen darf. Die Aufrufzahlen ihrer Videos sind Lina heute auch nicht mehr so wichtig: „Es gab einen Zeitpunkt, an dem ich gemerkt habe: Auf diese Zahlen zu achten, tut meiner mentalen Gesundheit nicht gut.“ Lina freut sich mit den Menschen unter ihren Videos zu kommunizieren und auf die Kommentare einzugehen, macht es aber nicht mehr so häufig, wie zum Anfang. Es ist ihr zudem aufgefallen, dass Hate-Kommentare oft geschrieben werden, nur um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Heute weiß sie: „Ich kann nicht Millionen von Menschen davon überzeugen, wie bestimmte Dinge ablaufen. Ich kläre einmal auf und danach lasse ich es.“
„Jeder hat seine eigene Art und Weise, wie er die Sachen zeigt, erklärt und erzählt und das finde ich wirklich schön“
Lina ist froh, ihr erstes TikTok damals gepostet zu haben, auch wenn es etwas gedauert hat, bis sie davon ihrer Familie und den Freund:innen berichtet hat. Heute ist das Feedback ihres Umfelds positiv. Besonders dankbar ist sie für die Unterstützung ihrer Familie in Tunesien. Schon beim Studienwechsel äußern ihre Eltern: „Letztendlich ist das dein Leben und solange du glücklich bist, mach was du willst und wir sind für dich immer da.“ TikTok wird also weiterhin Linas Hobby bleiben. Sie kann sich aber nicht vorstellen, ihren Job irgendwann komplett für Social Media aufzugeben. Dafür machen ihr der Job im Architekturbüro und der persönliche Kontakt zu Menschen zu viel Spaß. Möglicherweise wird aber ihr Content zukünftig um Kochvideos erweitert. Lina meint: „Ich liebe es zu kochen, aber ich bin faul, deswegen bevorzuge ich schnelle, leckere Rezepte.“ Der Cafeteria-Koch Christian Martini verrät blickfeld, dass er sogar dazu bereit wäre, einige Rezepte aus der Cafeteria-Speisekarte an Lina herauszugeben. Wer weiß, vielleicht sehen wir Lina irgendwann ihr geliebtes Curry mit Garnelen sogar auf TikTok nachkochen. Vorrang hat aber zurzeit ihre anstehende Bachelorarbeit.
@lisolna Lunch at university 🍛✨ #lunchtime #deliciousfood #lunch #collegelife ♬ Too Sweet – Hozier
An diesem Tag hat blickfeld Lina interviewt (Video: @lisolna)
Lina rät allen, die auch überlegen, mit Social Media anzufangen, sich jedoch unsicher sind: „Macht das! Jeder hat seine eigene Art und Weise, wie er die Sachen zeigt, erklärt und erzählt und das finde ich wirklich schön.“ Dabei ist es nicht besonders wichtig, welche Art von Content man hochlädt. „Es ist wichtig, dass wir voneinander lernen“, sagt Lina. »bak«