Sommersemester ein „Nichtsemester“? Das sagen Hochschulleitung und Lehrende der Uni Wuppertal

Drei Professorinnen verschiedener Universitäten fordern in einem offenen Brief: „Das Sommersemester muss ein Nichtsemester werden“. Rund 1 300 Wissenschaftler/-innen aus der gesamten Bundesrepublik sollen diesen Aufruf innerhalb kurzer Zeit unterzeichnet haben – darunter auch zahlreiche Lehrende der Bergischen Universität. Was sich hinter dem „Nichtsemester“ verbirgt, wieso Wuppertaler Dozierende den Aufruf unterstützen und was die Hochschulleitung der Bergischen Uni dazu sagt, führen wir im folgenden Beitrag aus.

Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky (LMU München), Prof. Dr. Andrea Geier (Universität Trier) und Prof. Dr. Ruth Mayer (Leibniz Universität Hannover) sind die Initiatorinnen des offenen Briefes. Sie rufen dazu auf, „das Sommersemester 2020 nicht als ‚business as usual‘ laufen zu lassen.“ Keinesfalls fordern sie, das Semester ausfallen zu lassen, wie die Bezeichnung „Nichtsemester“ implizieren mag: „Die Lehre im Sommersemester soll stattfinden, aber das Semester soll nicht formal zählen. Studierenden, die keine Studienleistungen erbringen können, dürfen keine Nachteile entstehen.“ Es könne nicht darum gehen, zügig das herkömmliche Lehr- und Prüfungssystems online wiederherzustellen.

Präsenzlehre lasse sich nicht umstandslos ins Internet verlagern

Dazu führen die drei Professorinnen zahlreiche Argumente ins Feld, etwa, dass die Präsenzlehre sich nicht umstandslos ins Internet verlagern lasse. Auch würden Lehrende, Studierende und Mitarbeiter/-innen der Uni-Verwaltung eine mehrfache Belastung stemmen müssen, beispielsweise aufgrund von Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen. Viele Studierende hätten zudem – wegen eines kurzfristigen Jobverlusts – finanzielle Probleme, die gelöst werden müssten. Auch die technische Infrastruktur sei nicht ausreichend: Einerseits sprechen die Initiatorinnen an, dass vielerorts die Universität inklusiver aller zentrale Einrichtungen (Bibliotheken, Technikverleih etc.) geschlossen sind, andererseits ist die „technische Infrastrukturen überlastet, was sich etwa an Online-Plattformen für die Schule beobachten lässt.“ Zudem solle das Sommersemester dazu genutzt werden, offene Prüfungen aus dem Wintersemester abzunehmen.

„Das Sommersemester sollte deshalb mit deutlich veränderten Lehrformaten und unter Aussetzung strenger Deputatsberechnungen stattfinden“, schreiben die drei in ihrem offenen Brief.

Darüber hinaus sprechen sich Braslavsky, Geier und Mayer dafür aus, Anpassungen an den BAföG- und Regelstudiumsauflagen vorzunehmen. Auch sollten befristete Mitarbeiter/-innen der Hochschulen „eine Verlängerung des Vertrages um mindestens ein Semester angeboten werden.“

Studierende sollen „so wenig Nachteile wie möglich“ haben

Für Prof. Dr. Lambert T. Koch, Rektor der Bergischen Universität und Leiter des Landesrektorenkonferenz in Nordrhein-Westfalen (LRK NRW), ist der Begriff „Nichtsemester“ irreführend. „Für die Universitäten in NRW ist entscheidend, dass den Studierenden durch die derzeit herrschende Ausnahmesituation so wenig Nachteile wie möglich entstehen.“ Daher habe die Rektorenkonferenz auf eine Anpassung der BAföG-Regeln gedrängt und empfehle zudem ein Hinausschieben der Altersgrenze für das Kindergeld und die Familienkrankenversicherung. Koch spricht sich auch für einen Hilfsfond für Studierende aus, die in Folge der Krise finanziell in Not geraten sind.

„Zugleich motivieren wir die Lehrenden, Möglichkeiten des ‚distance learning‘ optimal auszuschöpfen, damit das Sommersemester für alle Beteiligten nicht zu einem komplett verlorenen Semester wird“, so Koch. Natürlich sei zu berücksichtigen, dass aus persönlichen und fachlichen Gründen diese Optionen sehr unterschiedlich ausfalle. „Auch hier gilt es, Nachteile für die Studierenden möglichst zu vermeiden.“ Vor allem für das Prüfungswesen müssten laut Koch maximal flexible Regeln gefunden werden. „Bei alldem ist entscheidend, dass so viel wie möglich bundeseinheitlich geregelt wird.“

Hunderte Angehörige der Uni Wuppertal unterzeichneten bislang den offenen Brief

Über 11 000 Unterschriften hat der offene Brief bislang erhalten, davon mehrere Hundert von Angehörigen der Bergischen Universität (Stand 2. April 2020). Mit Prof. Dr. Astrid Messerschmidt, Prof. Dr. Rita Casale und Prof. Dr. Fabian Kessl sind auch drei Erziehungswissenschaftler/-innen aus Wuppertal dabei. In einer Videokonferenz haben die drei Forscher/-innen uns ihre Beweggründe erläutert.

Prof Dr. Messerschmidt teilt den Grundgedanken des offenen Briefes, „nicht zur Normalität überzugehen“, und den damit verbundenen Ansatz, „dass das Semester nicht zählen soll wie ein normales Semester.“ Besonders im Blick hat sie BAföG-Empfänger/-innen, die aufgrund der Förderung grundsätzlich in Regelstudienzeit studieren müssen, und befristet beschäftigte Mitarbeiter/-innen, die eine Verlängerung ihrer Verträge erhalten sollten.

Bleibt geschlossen: Der Eingang der Bergischen Universität

Uni@Home: Dozierende äußern Zweifel am von der Hochschulleitung beworbenen „Distanz-Studieren“

Alle sehen die geplante, vollständige Digitalisierung der Lehre als problematisch an. Laut Prof. Dr. Kessl werde von Seiten der Hochschulleitung derzeit suggeriert: „Wir können die Normalität eines Semesters im Digitalen nachahmen.“ Kessl hat daran Zweifel: einerseits, ob die digitale Infrastruktur der Universität das leisten kann, andererseits ist aus seiner Sicht „ein Seminar, in dem ich gemeinsam diskutiere, etwas anderes, selbst eine Vorlesung, in der es die Möglichkeiten gibt, Fragen zu stellen und sie im Plenum aufzunehmen.“ Die Möglichkeit der Diskussion ist für Prof. Dr. Messerschmidt ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Lehrinhalte. Sie merkt an, dass vorhandene Tools, wie Filmaufnahmen, „auf eine einseitige Kommunikation ausgelegt“ sind.

„Der Vorschlag eines ‚Nicht-Semesters‘ sollte“, aus Sicht von Prof. Dr. Casale, „nicht mit der Intention assoziiert werde, keine Lehre anzubieten und keine Forschung leisten zu wollen, sondern mit der reflektierten Entscheidung, die Unterbrechung der Normalität, die diese Pandemie mit sich bringt, nicht zu verdrängen. Die Wissenschaft sollte explizit mit der Frage konfrontiert werden, welchen Beitrag sie in welcher Form leisten kann, damit das Geschehene selbst Gegenstand von Forschung und Lehre wird.“

Den Uni-Betrieb „nicht mit der Vorstellung, dass man alles eins zu eins ersetzen kann“, fortführen

Alle drei wollen Studienleistungen in diesem Semester ermöglichen, aber – so Prof. Dr. Messerschmidt – in anderer Form und „nicht mit der Vorstellung, dass man alles eins zu eins ersetzen kann.“ Für Prof. Dr. Kessl ist das der entscheidende Punkt und regt deshalb einen Perspektivwechsel an: „Anstatt zu fragen ‚Wie kriegen wir die Lehre – so hektisch wie es nur geht – digital realisiert‘, sollten wir, auch mit den Studierenden, über die aktuelle Lage und den damit verbundenen Fragen diskutieren.“ Diesen Gedanken sieht Kessl im offenen Brief mit der Forderung, das kommende Semester nicht als „business as usual“, nur digital laufen zu lassen, repräsentiert.

Prof. Dr. Messerschmidt etwa möchte die Themen im kommenden Semester auch unter dem Aspekt Corona bearbeiten: „Wir setzen uns in der Erziehungswissenschaft beispielsweise mit Flucht und Migration und Rechtsextremismus auseinander. Wie sieht das in der jetzigen Situation aus?“

Alle drei sind sich einig, dass die Hochschulleitung die jetzige Ausnahmesituation anerkennen muss und dabei nicht mit einem Weg zu einer vermeintlichen Normalität reagieren kann.

Wie sollen Prüfungen im kommenden Semester bewertet werden?

Aus der Germanistik haben Dr. Luisa Banki, Dr. Katarina Colomo und Dr. Antonius Weixler den offenen Brief unterzeichnet. Zahlreiche E-Mails von Studierenden hätten allen dreien gezeigt, welch „große Verunsicherung und Unklarheit darüber herrscht, wie in den nächsten Wochen und eventuell Monaten Prüfungsleistungen erbracht werden können.“ Als Lehrende stellen sie sich die Frage, „wie solche Prüfungsleistungen bewertet werden können, die unter ganz anderen Umständen stattfinden.“ Angesichts der Schließung der Universitätsbibliothek ist sowohl Studien- als auch Fachliteratur nur eingeschränkt zugänglich. Wie können in der aktuellen Situation wissenschaftliche Standards erhalten bleiben? Auch formale Faktoren wie enge Fristen führen „zu erheblichem zusätzlichen Stress und Druck bei den Studierenden.“ Mit der Unterschrift plädieren die drei dafür, „an dieser Stelle etwas Druck aus diesem System zu nehmen.“

„Nichtsemester“ soll stattfinden, nur nicht als Fachsemester gezählt werden

Im „Nichtsemester“ sollen Lehre und Prüfungen stattfinden, unterstreichen alle drei: „All das wird möglich sein, nur muss dies eben nicht sein.“ Das Semester solle lediglich nicht als „Fachsemester“ gezählt werden, damit für Studierende, die etwa keinen Zugang zur entsprechenden Literatur haben oder finanzielle Probleme lösen müssen, kein Nachteil entsteht.

Alle drei wollen versuchen, ihre Seminare online durchzuführen, betonen jedoch: „Präsenzveranstaltungen sind nicht so ohne Weiteres und innerhalb von zwei, drei Wochen Vorbereitungszeit eins zu eins in digitale Formate zu übertragen.“ Auch ihnen fehlt darin der unmittelbare Austausch und die Diskussion darüber, „was zu Hause in der eigenen Lektüre noch nicht richtig verstanden wurde.“ Vor diesem Hintergrund sehen sie die Vorstellung der Hochschulleitung, „das Sommersemester könnte ganz regulär als Online-Semester durchgeführt werden“, als „sehr problematisch“ an.

Die Bergische Universität hingegen steuert genau darauf zu. Im Uni@Home-FAQ heißt es: „Der Lehrbetrieb im SoSe2020 wird wegen der Corona-Krise bis auf Weiteres vollständig auf Distanz-Studieren (Uni@Home) umgestellt.“ »mw«

Weitere Informationen zum „Nichtsemester“

  1. Mara Kruse

    Hey,
    der Artikel ist sehr informativ, vielen Dank dafür!
    Allerdings würden sich glaub ich viele aus den praktischen Studiengängen freuen, wenn die Meinung der Professoren auch mal erfragt wird. Die Rede ist immer davon, dass Studierende finanziell entlastet werden sollen o.ä. Aber was ist mit den Sportstudenten, den Designstudenten usw. für die eine Reihe von Riesen Nachteilen durch Uni@Home entstehen. Ich weiß nicht inwieweit euch das möglich ist, zu dieser Thematik Meinungen einzuholen.
    Vielen Dank für eure Arbeit.
    Liebe Grüße

  2. Wir haben schon seit Mitte Februar unser Lehrangebot proaktiv auf distance learning umgestellt und sind seit 2 Wochen startbereit. Eine Kurz-Anleitung über zentral vorhandene Tools des Rechenzentrums zum e-learning wurde von uns an die Kollegen der Fakultät verteilt.
    Erste Prüfungen wurden elektronisch abgenommen, mit durchweg positiver Resonanz bei den Studenten. Abschlussthemen (im Bachelor und Master) zur Modellierung von COVID-19 wurden schon seit Februar vergeben. Ein Special Issue zum Thema „Die Mathematik hinter COVID-19“ wird im Journal of Mathematics for Industry beim Springer Verlag erscheinen.

    Ich denke, jeder an den Lehrstühlen tut sein Bestes, damit das Sommersemester so normal wie eben möglich abläuft. Dabei wird natürlich auch in Lehre/Forschung das Thema COVID-19 aufgegriffen.

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