Prüfungsrecht: Der Rücktritt von einer Prüfung und die Folgen

Das Prüfungswesen an den Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen ist nicht abschließend und einheitlich in einem Landesgesetz geregelt. Gleiches gilt dementsprechend für alle Regelungen, die einen Rücktritt von einer Prüfung betreffen. Die allgemeinen Grundsätze des Prüfungswesens werden in den §§ 63, 63a, 64 und 65 des Hochschulgesetzes des Landes NRW, kurz HG NRW, geregelt. Die materielle Ausgestaltung des Prüfungswesens obliegt den Hochschulen selbst, genauer: Den Fachbereichen bzw. Fakultäten. Hochschulprüfungen werden aufgrund von Prüfungsordnungen abgelegt. In der Regel gibt es für jeden Studiengang auch eine Prüfungsordnung. Gemäß § 64 Absatz 2 Satz 1 Nr. 8 muss zwingend in der Prüfungsordnung geregelt werden: Die Folgen der Nichterbringung von Prüfungsleistungen und des Rücktritts von einer Prüfung sowie die innerhalb der Hochschule einheitlich geregelte Art und Weise, in der der Nachweis der krankheitsbedingten Prüfungsunfähigkeit zu erbringen ist. Letzteres bedeutet, dass für alle Studierenden einer Hochschule in NRW unabhängig vom Studiengang die gleichen Bedingungen für einen krankheitsbedingten Rücktritt zu gelten haben. Für dessen Nachweis reicht gemäß § 63 Absatz 7 HG NRW im Regelfall eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Prüfungsunfähigkeit aus. Ausgenommen hierbei sind Fälle, in denen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte eine Prüfungsfähigkeit als wahrscheinlich annehmen oder einen anderen Nachweis als sachgerecht erscheinen lassen. D.h. es muss genügend augenscheinliche Anhaltspunkte dafür geben, dass eine Prüfungsunfähigkeit angezweifelt werden kann. In diesen Fall kann die Hochschule auf ihre Kosten eine entsprechende Bescheinigung von einer ihrer Vertrauensärztinnen oder Vertrauensärzte verlangen. Allerdings muss die bzw. der betroffene Studierende aus mehreren Vertrauensärztinnen oder Vertrauensärzten auswählen können.
Die sonstigen Rücktrittsmöglichkeiten von einer Prüfung sind spezifisch für den Studiengang in einer Prüfungsordnung geregelt, die vom Fachbereichsrat bzw. Fakultätsrat beschlossen wird. Die Modalitäten unterscheiden sich auch an der Bergischen Universität Wuppertal von Fakultät zu Fakultät bzw. von Studiengang zu Studiengang. Hier hilft ein Blick in die jeweilige Prüfungsordnung oder das Nachfragen im zuständigen Prüfungsamt.

Nachfolgend soll näher auf die Rechtslage in NRW zu Rücktritten von einer Prüfung und die Folgen eingegangen werden.

Der Rücktritt von einer Prüfung

Die Prüfungsordnungen der Hochschulen regeln den Rücktritt von einer Prüfung auf unterschiedlicher Weise. Die einen ermöglichen den Rücktritt noch kurz vor Prüfungsbeginn ohne Angabe von Gründen, die anderen fordern bereits ab der Anmeldung zur Prüfung einen Rücktrittsgrund. In wieder anderen Fällen ist ein Rücktritt nach der Anmeldung noch innerhalb einer bestimmten Frist vor Prüfungsbeginn möglich, beispielsweise bis eine Woche vor Prüfungsbeginn. Der Hochschulgesetzgeber hat hierfür keine genauen Vorgaben gemacht. Je nach den hochschulpolitischen Zielsetzungen der Hochschulen bzw. der betroffenen Fachbereiche werden strengere oder weniger strenge Maßstäbe angelegt. Diese Maßstäbe können sowohl innerhalb der Hochschule als auch auf Landesebene umstritten sein. Wenn von einer Prüfung nur noch begründet zurückgetreten werden kann, wird in der Regel ein wichtiger Grund gefordert. Nach einer Entscheidung des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofes vom 15.09.1987 liegt ein solcher vor, wenn der zu prüfenden Person unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und nach Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen die Prüfungsteilnahme nicht zumutbar ist (VGH Mannheim, 15.9.1987 – 9 S 1168/87 – ESVGH 38, 230). Die zuständige Prüfungsbehörde, in der Regel der Prüfungsausschuss, hat darüber zu entscheiden, ob ein wichtiger Grund vorliegt oder nicht. Der Prüfungsausschuss ist bei seiner Entscheidung an die Prüfungsordnung gebunden, hat jedoch im Rahmen dieser Ordnung einen Ermessensspielraum. Die Entscheidungen des Prüfungsausschusses sind der Betroffenen oder dem Betroffenen schriftlich mitzuteilen und mit einer entsprechenden Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Sie können vor dem zuständigen Verwaltungsgericht angefochten werden.

Der Rücktritt wegen einer Erkrankung

Ein wichtiger Grund für den Rücktritt von einer Prüfung ist eine temporäre Erkrankung, wenn sie zu einer zeitlich begrenzten Prüfungsunfähigkeit führt. Doch ab wann führt eine Erkrankung zu einer Prüfungsunfähigkeit, wie wird diese nachgewiesen und wer entscheidet letztendlich darüber? Diese Fragen muss laut dem Hochschulgesetz grundsätzlich die jeweilige Prüfungsordnung beantworten, in dem sie entsprechende Sachverhalte regelt. Das HG NRW legt jedoch fest, dass dies innerhalb einer Hochschule einheitlich zu regeln ist (§ 64 Absatz 2 Satz 1 Nr. 8) und grundsätzlich eine ärztliche Bescheinigung ausreicht, in der die krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit ausgewiesen ist (§ 63 Absatz 7). Bestehen allerdings zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die eine Prüfungsfähigkeit als wahrscheinlich annehmen oder einen anderen Nachweis als sachgerecht erscheinen lassen, kann eine ärztliche Bescheinigung von einer Vertrauensärztin oder eines Vertrauensarztes der Hochschule durch diese verlangt werden (§ 63 Absatz 7 HG NRW). In diesem Fall muss es genügende augenscheinliche Anhaltspunkte dafür geben, dass eine Prüfungsunfähigkeit wahrscheinlich nicht besteht. Ein bloßer, unbegründeter Verdacht reicht hier nicht aus. Wenn es dazu kommt, muss die bzw. der betroffene Studierende aus mehreren Vertrauensärztinnen und Vertrauensärzten auswählen können und die Hochschule die Kosten übernehmen (§ 63 Absatz 7 HG NRW). Die Regelung in § 63 Absatz 7 ist erst mit dem neuen Hochschulgesetz am 01.10.2014 in Kraft getreten. Zuvor verlangten einige Hochschulen bzw. Fachbereiche (Fakultäten) ein ärztliches Attest mit einer allgemeinverständlichen Angabe der Diagnose. Dies war und ist jedoch nicht unumstritten. Eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer muss zum Beispiel bei einer Erkrankung kein so weitreichendes Attest bei seinem Arbeitgeber einreichen. Auch greift ein solches Attest in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen oder des Betroffenen ein. Hier ist also die Frage zu klären, inwieweit ein solches Attest auch unter Berücksichtigung der Interessen der Hochschule und unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes gegenüber allen an einer Prüfung teilnehmenden Personen gerechtfertigt werden kann. Reicht hierbei ein rein ärztliches Urteil, ob eine Prüfungsunfähigkeit vorliegt, nicht aus? Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.04.1990 (BverwG, 10.4.1990 -7 B 48/90 – NvwZ-RR 1990, 481) genügt es nicht, wenn ein Arzt lediglich formell die Prüfungsunfähigkeit bescheinigt. Es muss ein Befund diagnostiziert sein, aus dem sich nachvollziehbar die Prüfungsunfähigkeit ergibt. Damit scheiden Bescheinigungen über eine Arbeitsunfähigkeit – wie bei einer Arbeitnehmerin oder bei einem Arbeitnehmer – grundsätzlich aus. Der Nachweis über eine Prüfungsunfähigkeit erfordert neben einer formellen Feststellung auch materielle Angaben über die Erkrankung und die daraus folgende Prüfungsunfähigkeit.

Die Prüfungsordnungen der Bergischen Universität Wuppertal forderten bisher in der Regel ein qualifiziertes Attest, aus der eindeutig die Prüfungsunfähigkeit hervorgeht. Alle Einzelheiten zur Erkrankung selbst müssen im Attest nicht aufgeführt werden, es muss jedoch nachvollziehbar aus der im Attest angegebenen Erkrankung zwingend die ärztlich festgestellte Prüfungsunfähigkeit hervorgehen. Der Prüfungsausschuss hat dann darüber zu entscheiden. Umstritten bleibt jedoch wie weit die Angaben zu einer Diagnose im Falle eines Nachweises über die Prüfungsunfähigkeit gehen dürfen und wie hoch die Maßstäbe für einen Prüfungsrücktritt zu setzen sind. Der Hochschulgesetzgeber in NRW hat daher mit Wirkung zum 01.10.2014 die Anforderungen an die ärztliche Bescheinigung über eine Prüfungsunfähigkeit zwar wie oben beschrieben für den Regelfall herabgesetzt, doch in Zweifelsfällen kann weiterhin eine Bescheinigung von einer Vertrauensärztin oder einem Vertrauensarzt der Hochschule verlangt werden.

Die Anforderungen an einer Prüfungsunfähigkeit

Grundsätzlich gilt: Bei einer krankheitsbedingten Prüfungsunfähigkeit muss eine Prüfung nicht abgelegt werden. Hierbei ist im Falle einer Erkrankung immer von einem atypischen Sonderzustand bei der Betroffenen oder dem Betroffenen auszugehen. Dauerhafte bzw. typische Zustände fallen nicht darunter. In diesem Fall muss die Prüfung abgelegt werden. So kann z.B. im Falle einer dauerhaften Prüfungsangst nicht von einem atypischen Zustand ausgegangen werden, der einen Rücktritt von einer Prüfung rechtfertigt. Prüfungen sind ein notwendiges Mittel eine Befähigung oder eine Leistung nachzuweisen. Auf sie kann daher nicht dauerhaft verzichtet werden. Nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes NRW in Münster ist eine sich durch eine Angststörung (Examenspsychose) äußernde Prüfungsangst kein wichtiger Grund von einer Prüfung zurückzutreten. Das ist unabhängig von der Intensität der durch sie ausgelösten Ausfallerscheinungen (OVG Münster, 16.2.2004 – 14 A 3057/03 – NvwZ-RR 2004, 497). Nach einer Entscheidung des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofes in Mannheim ist eine während einer Prüfung unverzüglich geltend gemachte und durch ärztliches Attest nachgewiesene Erkrankung in Verbindung mit einem ausdrücklich erteilten ärztlichen Rat, die Prüfung aufgrund dieser Erkrankung nicht fortzusetzen, auch dann ein wichtiger Grund von einer Prüfung zurückzutreten, wenn eine wesentliche Ursache in einer psychischen Reaktion auf das Prüfungsgeschehen liegt (VGH Mannheim, 13.4.1988 – 9 S 785/87 – NvwZ-RR 1989, 17). Im ersten Fall (OVG Münster) lag kein atypischer Sonderzustand, sondern ein Dauerzustand vor. Die Prüfungsunfähigkeit ist dauerhaft und kann damit keinen Prüfungsrücktritt begründen, der nur bei einem temporären atypischen Sonderzustand statthaft ist. Im letzten Fall (VGH Mannheim) lag ein atypischer Sonderzustand vor, der zu einer temporären Prüfungsunfähigkeit führte. In diesem Fall war der Rücktritt notwendig und statthaft. Wichtig ist auch, dass der Rücktritt als solcher erklärt wird und unverzüglich ein entsprechendes, qualifiziertes Attest vorgelegt wird. Ein unentschuldigtes Nichtteilnehmen an einer Prüfung ist keine Rücktrittserklärung. Selbstverständlich darf bei einer ärztlich festgestellten Prüfungsunfähigkeit nicht einfach an einer Prüfung teilgenommen werden, um sich dann bei einem möglichen Nichtbestehen nachträglich auf die Prüfungsunfähigkeit zu berufen. Der Prüfungsrücktritt muss in zeitlicher Nähe zum Ereignis erklärt werden. Erst die Prüfungsergebnisse abzuwarten ist ebenso unzulässig. Es gibt jedoch immer Ausnahmen: Zum Beispiel wenn die oder der Betroffene ihre oder seine Prüfungsunfähigkeit nicht erkennen oder aufgrund einer Erkrankung nicht sofort die geforderten Maßnahmen ergreifen konnte.

Schlusswort

Die Prüfungsordnungen regeln die Modalitäten zu einem möglichen Rücktritt von einer Prüfung. Die Anforderungen an einem Rücktritt können unterschiedlich sein. Eine temporäre Erkrankung, die zu einer Prüfungsunfähigkeit führt, ist grundsätzlich ein anerkannter, wichtiger Rücktrittsgrund. In diesem Fall hat die oder der Betroffene unverzüglich ihren oder seinen Rücktritt von der Prüfung zu erklären und eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen. In dieser muss die Prüfungsunfähigkeit bescheinigt werden. Bei berechtigten Zweifeln kann eine Bescheinigung von einer Vertrauensärztin oder einem Vertrauensarzt der Hochschule verlangt werden. In diesem Fall muss die bzw. der betroffene Studierende aus mehreren von der Hochschule bestimmten Ärztinnen und Ärzten auswählen können und die Hochschule die Kosten tragen. Auch andere wichtige Gründe, die eine Prüfungsunfähigkeit begründen, können einen Rücktritt von einer Prüfung rechtfertigen. Zu entscheiden hat darüber die zuständige Prüfungsbehörde, in der Regel ist das der Prüfungsausschuss. Dabei hat der Prüfungsausschuss im Rahmen der Prüfungsordnung einen Ermessensspielraum. Willkürliche Entscheidungen sind ausgeschlossen, wobei jede Entscheidung vor einem Verwaltungsgericht angefochten werden kann. Natürlich kann der Landesgesetzgeber, die betroffene Hochschule bzw. der betroffene Fachbereich (Fakultät) durch den Erlass einer entsprechenden Prüfungsordnung oder der Prüfungsausschuss im Rahmen seines Ermessensspielraumes geringere Anforderungen für den Nachweis der Prüfungsunfähigkeit oder für einen Rücktritt von einer Prüfung vorsehen.
Im Falle von NRW hat der Hochschulgesetzgeber die Anforderungen an den Nachweis für eine Prüfungsunfähigkeit im neuen Hochschulgesetz, welches am 01.10.2014 in Kraft trat, für die Regelfälle nun heruntergesetzt. Jede bzw. jeder Studierende sollte sich jedoch mit den rechtlichen Modalitäten eines Prüfungsrücktritts und den Folgen in seiner Hochschulen bzw. seinem Fachbereich (Fakultät) und seinem Studiengang genau auseinandersetzen. Mögliche Ansprechpartner dafür sind die entsprechenden Prüfungsämter und Prüfungsausschüsse in der Hochschule und ihren Fachbereichen (Fakultäten). Weitere Informationsquellen sind natürlich das Hochschulgesetz und die Prüfungsordnungen.

Dieser Artikel wurde im Februar 2016 aktualisiert (Erstveröffentlichung im Dezember 2012).

Gastautor: Andreas Schwarz – »schwarz«

Foto: Andreas Schwarz

Andreas Schwarz hat Physik (mit Schwerpunkt Astrophysik) an der Bergischen Universität Wuppertal studiert. Während seiner Studienzeit war er neben anderen Tätigkeiten in der Selbstverwaltung der Hochschule und der Studierendenschaft Mitglied des Studierendenparlaments (StuPa) sowie Referent für Hochschulrecht und Mitglied im Vorsitz des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA). Als Referent für Hochschulrecht war er für die rechtliche Organisation der Studierendenschaft und der Fachschaften sowie für deren Satzungen und Ordnungen verantwortlich. Auch an den Neufassungen der Satzung und der Wahlordnung der Studierendenschaft hat er maßgeblich mitgewirkt. Heute schreibt er unter anderem für das deutschsprachige makedonische Nachrichtenportal „Pelagon“ (www.pelagon.de) und engagiert sich für eine Lösung im sogenannten Namensstreit zwischen Griechenland und Makedonien. Grundlegende Arbeitsschwerpunkte sind hierbei die „Internationalen Beziehungen“ und das „Völkerrecht“.

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