Umdenken erlaubt: Wann Studienzweifel zur Chance werden

Gastartikel von Jennifer Abels

„Wer sich alle Türen offen hält, verbringt sein Leben auf dem Flur.“ – Mancher, der sich nicht entscheiden kann, verharrt also womöglich in einer Situation, in der er dauerhaft unglücklich ist. Entscheidungsfindung ist eines der Hauptthemen bei der Beratung von Studierenden mit Zweifeln am Studium. Aber wie trifft man eine gute Entscheidung und wer oder was hilft einem dabei?

Anke Engelke und Günther Jauch, Alice Schwarzer und Wim Wenders, Steve Jobs und Bill Gates, prominente Menschen, die eines gemeinsam haben: Sie haben ihr Studium abgebrochen, bevor sie die Karriereleiter nach oben gestiegen sind. Der eine hat davor, der andere danach, wieder einer gar keine Ausbildung mehr gemacht. Klar, das ist nicht unbedingt der Königsweg und natürlich wird nicht aus jedem/r Studienaussteiger/in ein Bill Gates. Aber Biografien von Studienaussteiger*innen zeigen, dass viele erst über einen Umweg zum Traumberuf gekommen sind.

Zweifel als Chance begreifen

Zweifel gehören zum Leben dazu. Oft sind Zweifel sogar wichtig, weil sie den Zweifler/die Zweiflerin zum Nachdenken anregen. Wenn die Zweifel aber immer größer werden, die Betroffenen sich gar in ihren Grübeleien verfangen und sie diese zu lähmen beginnen, ist es Zeit zu reagieren.

Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) hat in einer groß angelegten Studie von 2017 die häufigsten Gründe für Studienabbruch identifiziert. Hiernach sind bei 30 Prozent der Befragten die hohen Leistungsanforderungen, bei 17 Prozent mangelnde Studienmotivation und bei 15 Prozent der fehlende Praxisbezug ursächlich für den mangelnden Studienerfolg.

Um Studienzweifel als Chance zu begreifen, ist es erst einmal wichtig, sich Unsicherheiten und Zweifel am Studium einzugestehen. Viele junge Menschen, die im Studium unglücklich sind, lassen ihre Zweifel jedoch erst einmal nicht zu. Das kann viele Gründe haben: familiäre Erwartungshaltungen, mangelndes Selbstwertgefühl, fehlende Alternativen. Oder alles zusammen. Dabei sind Zweifel wichtig, um weiterzukommen, denn sie regen den/die Zweifler*in dazu an, über seine/ihre Situation nachzudenken und sich – im Zweifel – eben noch einmal umzuentscheiden. Ein zweiter wichtiger Schritt zur Reflexion bei Studienzweifeln ist, über die Gedanken und Gefühle zu sprechen. Wer das nicht mit seinen Dozent*innen, Freund*innen, Familienangehörigen oder Kommiliton*innen tun möchte, kann sich an Beratungsstellen innerhalb der Universität wenden: Serviceeinrichtungen wie z.B. der Career Service oder die School of Education, Studienfachberatungen und Zentrale Studienberatung unterstützen mit Informationen und Kontakten zu externen Ansprechpartner*innen. In der Studienberatung haben junge Menschen mit Unsicherheiten außerdem die Möglichkeit, in mehrstündigen Einzelcoachings und Gruppen-Workshops herauszufinden, worin ihre Zweifel begründet liegen, wo sie beruflich und persönlich hinmöchten, wie sie eine gute Entscheidung treffen und die richtigen Schritte für einen Neustart in die Wege leiten können. Für viele liegt die Lösung dabei nicht unbedingt in einem Studienausstieg, sondern in einem Fach oder Uniwechsel, bei dem man nicht zwangsläufig von vorn anfangen muss, wenn bereits erbrachte Leistungen im neuen Fach angerechnet werden können. Bei Lernschwierigkeiten und Prüfungsangst können Workshops zu den Themen Zeit- und Selbstmanagement, Aufschiebendes Verhalten oder Gelassen in die Prüfung helfen herauszufinden, welche individuellen Strategien die Lern- und Prüfungssituationen verbessern, so dass das Studium doch noch erfolgreich verlaufen kann.

Studienausstieg ist nicht gleich Scheitern

Wenn ein/e Studierende/r feststellt, dass der akademische Weg nicht der richtige ist, weil ein strukturierter Tagesablauf, die enge Betreuung durch Ausbilder*innen und Lehrer*innen in einem praxisorientierten Umfeld wie einer Ausbildung besser zu ihm oder ihr passen, ist das für einige mit negativen Gefühlen behaftet. Dabei haben viele Ausbildungsbetriebe das Know-how von Studienaussteiger*innen erkannt. „Ehemalige Studierende bringen wertvolle Kompetenzen mit – einige haben an der Uni gelernt, selbständig zu arbeiten, sie wissen was ihnen liegt und Spaß macht und sie verfügen im Gegensatz zu Schulabgängern oft schon über Fachwissen und konkretere Vorstellungen zum Ausbildungsberuf“, so Sonja Clemens, Leiterin Bereich Aus- und Weiterbildung beim Wuppertaler Zangenhersteller Knipex. Außerdem sei dem Studienabbruch ein längerer Reflexionsprozess vorausgegangen, der dazu führe, dass die jungen Menschen sich bewusst für einen bestimmten Beruf entschieden haben. Das ist ein wichtiger Punkt, denn auch die deutschen Ausbildungsbetriebe haben bei einem Drittel Aussteiger*innen aus Ausbildung mit einer ähnlich hohen Abbrecherquote zu kämpfen wie die deutschen Hochschulen.

Warum aber ist es für junge Menschen mit Studienzweifeln so schwierig, sich einzugestehen, dass sie sich auf einem Holzweg befinden? Weil mangelnder Studienerfolg für die Betroffenen (und meist auch für Familie, Freunde und Bekannte) eng verbunden ist mit dem nagenden Gefühl, versagt zu haben. Häufig kommen Studierende deshalb erst spät – durchschnittlich im vierten Semester – in die Studienberatung oder erst dann, wenn der Zweifel schon zu handfesten Folgen geführt hat, wenn z.B. das Bafög-Amt nach dem dritten Semester nicht mehr zahlt, weil die geforderten Leistungsnachweise nicht vorgelegt werden können, oder wenn eine Prüfung endgültig nicht bestanden wurde.

Sich einzugestehen, dass ein Hochschulstudium nicht das richtige ist, erfordert Mut. Für diejenigen aber, die Gefühle der Unzufriedenheit zulassen, die sich nach Neuem umschauen, Alternativen ausloten und nicht gleich dem erstbesten, sicherlich gut gemeinten Ratschlag folgen, sondern fundierte Beratung durch Fachstellen einholen, ergeben sich mitunter Optionen, die sie vielleicht anfangs gar nicht in Betracht gezogen haben. Zeit, Geduld und Eigeninitiative sind wichtig für diesen vorsichtigen, nach allen Seiten hin offenen Prozess, der zu einer Neu- und Umorientierung führen kann.

Um mit dem Tabu „Studienausstieg“ zu brechen, sind aber nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch deren Eltern und Freunde gefragt, die junge Menschen in ihrer Entscheidung bestärken können. Auch potentielle Ausbildungsbetriebe, die Studienaussteiger*innen in Stellenausschreibungen explizit als Adressaten ansprechen, können den Umstieg erleichtern. Denn wer liest, dass er erwünscht ist, ergreift eine sich ihm bietende Chance eher, statt in einer scheinbar ausweglosen Situation zu verharren und sich womöglich in einem Langzeitstudium zu verlieren. »abels«

Über unsere Gastautorin Jennifer Abels

Jennifer Abels, geboren 1978, hat nach dem Umweg über eine Ausbildung auf dem zweiten Bildungsweg ihr Abitur gemacht und dann in Wuppertal Germanistik, Kunst- und Designwissenschaften und Psychologie studiert. Nach dem Studium arbeitete sie mehr als zehn Jahre freiberuflich im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Seit Sommer 2018 ist sie in der Zentralen Studienberatung der Bergischen Universität als Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Studienberaterin für die Durchführung das Projekt „bergauf – Perspektiven bei Studienzweifeln“ im Rahmen des landesweiten Projekts NEXT CAREER verantwortlich.

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