blickfeld: Hallo Dilara, seit wann studierst du an der Bergischen Universität Wuppertal und warum hast du dich für deinen Studiengang entschieden?
Dilara: Ich habe 2020 den Bachelor in Verkehrswirtschaftsingenieurwesen am Campus Haspel begonnen. Auf diesen bin ich online gestoßen und habe mich kurze Zeit später immatrikuliert. Ich kann, wie mir auch ein Berufsorientierungstest bei der Arbeitsagentur bescheinigt hat, gut technische und mathematische Kontexte erfassen und habe eine Stärke im räumlichen Denken. Zudem interessiere ich mich für wirtschaftliche Zusammenhänge. All das bietet mir mein thematisch breit gefächerter Studiengang. Ich bin zufrieden und bereite mich nun auf die letzten Prüfungen und auf meine Abschlussarbeit vor.
„Man weiß nicht, was man alles nicht weiß“
blickfeld: Du bist die erste Person aus deiner Familie, die studiert. Wann hast du dich für ein Studium entschieden und welche Herausforderungen sind für dich als Arbeiterkind damit verbunden?
Dilara: Das Ziel eines Studiums verfolge ich seit der siebten Gymnasialklasse. Ein Stück weit auch aus dem damaligen Glaubenssatz heraus, dass das Abitur auf jeden Fall mit einem Studium einhergeht. Auch meine Mitschülerinnen und Mitschüler haben mich dazu motiviert.
Die erste Herausforderung war, dass mein Studium mitten in der Corona-Pandemie begann und ich die ersten zwei Semester zu Hause am Bildschirm verbracht habe. Das war nicht nur ungewohnt, auch fiel es schwer, Kontakte zu anderen Studierenden aufzubauen. So fehlt auch der Austausch über Themen, die das Studium allgemein betreffen. Man weiß nicht, was man alles nicht weiß. Es lohnt sich deshalb, den Austausch zu suchen und zu studentischen Organisationen am Campus zu gehen – wie bei mir unter anderem die Islamische Hochschulgruppe. Auch meine jetzige Mitbewohnerin, selbst ein Arbeiterkind, hat mir in vielen Dingen weitergeholfen.
Vorstellung: ArbeiterKind.de in Wuppertal
„Wir ermutigen Schüler:innen aus Familien ohne Hochschulerfahrung dazu, als Erste in ihrer Familie zu studieren. 6.000 Ehrenamtliche engagieren sich bundesweit in 80 lokalen ArbeiterKind.de-Gruppen, um Schüler:innen über die Möglichkeit eines Studiums zu informieren und sie auf ihrem Weg vom Studieneinstieg bis zum erfolgreichen Studienabschluss und Berufseinstieg zu unterstützen. Unsere Ehrenamtlichen sind größtenteils selbst Studierende oder Akademiker:innen der ersten Generation und berichten aus eigener Erfahrung über ihren Bildungsaufstieg und ermutigen als persönliches Vorbild.“
Die Wuppertaler Gruppe ist erreichbar über:
- Webseite: wuppertal.arbeiterkind.de
- E-Mail: wuppertal (at) arbeiterkind.de
- Instagram: @arbeiterkind.wuppertal
„Ich habe mich einfach getraut“
blickfeld: Welche Informationen haben dir anfangs gefehlt?
Dilara: Ich bin im dritten Semester von Krefeld nach Wuppertal gezogen, habe aber erst im fünften Semester und nachträglich für das vierte BAföG beantragt. Ich wusste nicht, dass es höhere Sätze gibt, wenn man nicht mehr bei den Eltern wohnt, und zwischenzeitlich auch die Freibeträge beim Elterneinkommen erhöht wurden. Stattdessen bin ich arbeiten gegangen.
Das ist einer der Gründe, warum ich aufgehört habe, aus falscher Scham heraus, nicht nachzufragen. Mit dem Allgemeinen Studierendenausschuss, den Fachschaften, dem Prüfungsausschuss und der Zentralen Studienberatung gibt es viele Anlaufstellen am Campus, mit denen Probleme gelöst werden können. Ich kann nur dazu ermutigen, sich zu trauen, hinzugehen, anzurufen und für seine Rechte und sich einzustehen. So bin ich auch an meinen ersten Uni-Job am Lehrstuhl für Güterverkehrsplanung und Transportlogistik gekommen. Ich habe mich einfach getraut.
„Die Auslandserfahrung hat mir persönlich viel gegeben“
blickfeld: Hat sich dieses neue Selbstbewusstsein auch anderweitig bemerkbar gemacht?
Dilara: Ja, absolut! Ich habe im Sommersemester 2024 einen Auslandsaufenthalt in Bali absolviert. Dort besuchte ich die Udayana University in Denpasar Bali, zugleich nutzte ich die Zeit für eine kleine Südostasienreise. Auch hier war ich die Erste aus meiner Familie, die ins Ausland gegangen ist. Ich habe bezüglich der Finanzierung recherchiert und konnte mithilfe einer Agentur alle rechtlichen Regularien erledigen.
Für mein Studium konnte ich mir nicht so viel anrechnen lassen, doch habe ich gelernt, dass ich mich auf Englisch auf einem wissenschaftlichen Niveau mit meinen Mitstudierenden und Dozierenden austauschen kann. Die Auslandserfahrung hat mir persönlich viel gegeben. Ich habe mich hinterfragt und ein Stück weit die entspannte Haltung zum Leben, die die Menschen auf Bali für mich verkörpern, übernommen.
„Traut euch, geht aus eurer Komfortzone heraus“
blickfeld: Wie geht es bei dir nach dem Bachelor weiter?
Dilara: Ich möchte im Anschluss an der Bergischen Universität bleiben und den Master in „Entrepreneurship und Innovation“ studieren. Hintergrund ist, dass ein paar Mitstudierende und ich derzeit ein Startup im Tech-Bereich planen. Damit wäre ich auch die erste Gründerin in meiner Familie.
Mit Blick auf mein 18-jähriges „Ich“ kann ich nur erneut bekräftigen: Traut euch, geht aus eurer Komfortzone heraus. Nutzt jede Chance, euren Horizont – auch abseits eures Faches – zu erweitern! »mw«

