Talgesichter: „Zusammenkommen mit Marvin Link“

Mit seinen Projekten bringt Marvin Menschen in Wuppertal zusammen. Er setzt auf Austausch, Begegnung und ein offenes Miteinander – ganz ohne Vorurteile. Ob spielerische Aktionen im öffentlichen Raum oder digitale Formate – er schafft Räume, in denen Menschen sich begegnen und entdecken können, wer eigentlich ihre Nachbar:innen sind. Seine Idee dahinter: Nicht alles ist schwarz und weiß – und man muss nicht zu allem eine starke Meinung haben.

Marvin Link auf der Holsteiner Treppe - Foto: Rebecca Hoven

Schon mal von Arrenbattle, Wir laufen rund oder People Pong gehört? Diese Projekte sind nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was der 29-jährige Marvin Link im Rahmen seines Studiums realisiert hat. Aktuell steht er kurz vor seinem Master-Abschluss in Public Interest Design und arbeitet bei der Neuen Effizienz, einem An-Institut der Bergischen Universität Wuppertal. Doch bevor er 2015 sein Mediendesign-Studium in Wuppertal begann und von Mannheim nach Nordrhein-Westfalen zog, hatte Marvin die Stadt kaum auf dem Schirm: „Wuppertal war ein unbeschriebenes Blatt für mich, ich glaube, ich habe davor auch noch nie davon gehört.“ Nach einigen Jahren in Essen entschied er sich 2019 für Wuppertal – und blieb. „Rückblickend schade, dass ich so lange gewartet habe“, meint Marvin.

ZUSAMMENKOMMEN der besonderen Art

Marvins Arbeit mag nicht direkt zur klassischen Stadtentwicklung gehören, doch für ihn beginnt Stadtentwicklung bei den Menschen. „Die Stadt besteht aus Menschen und ich arbeite mit Menschen“, erklärt er. Seine Projekte schaffen Begegnungen, fördern den Austausch und sorgen dafür, dass in Wuppertal etwas passiert. Dabei verfolgt er einen dynamischen Ansatz: „Es geht zwei Schritte vor, einen zurück“.

Alle Initiativen von Marvin entstanden im universitären Kontext. Den Anfang machte easyAntrag – ein Projekt im Rahmen seiner Bachelorarbeit und zugleich ein App-Konzept, mit dem sich Bürgergeldanträge „besser, einfacher, effizienter und sicherer“ stellen lassen sollten. Kurz darauf entwickelte er gemeinsam mit Pia Michnik den Talomat, ein Online-Tool, das Wähler:innen half, ihre politischen Präferenzen zu bestimmen.

Schließlich ging Marvin über digitale Projekte hinaus und es folgten Projekte im Rahmen seines Public Interest Design-Studiums. Während der Coronazeit brachte er gemeinsam mit seinem Kommilitonen Yannic Hüttebräucker das Projekt Arrenbattle in den Stadtteil Arrenberg. Die Idee: Der Stadtteil wurde in zwei Hälften geteilt, und die Bewohner:innen konnten durch das Scannen von QR-Codes digital in „Schere, Stein, Papier“ gegeneinander antreten.

blickfeld-Reihe „Talgesichter“

Holsteiner Treppe – Foto: xedel

In unserer Reihe „Talgesichter“ interviewt die blickfeld-Redaktion Wuppertaler Persönlichkeiten, die kulturell, sozial oder auf anderer Ebene zum gesellschaftlichen Miteinander in unserer Stadt beitragen. In den Beiträgen sprechen wir mit ihnen über ihr Engagement und über die Zukunft der Stadt.

Die bunte „Holsteiner Treppe“ in Elberfeld dient als verbindendes Element der Reihe. Ihre 112 Stufen verbalisieren Emotionen, die an der Stirnseite in Versalien des Schrifttyps „Humanist“ montiert sind. Geschaffen wurde das Kunstwerk mit dem Namen „SCALA – Der Gefühle“ vom Düsseldorfer Künstler Horst Gläsker. Die Gesprächspartner:innen der Reihe wählen vorab einen der dort abgebildeten Begriffe, der im Beitrag vertieft wird.

Die Reihe wird im gesamten Jahr 2025 fortgesetzt. Die blickfeld-Redaktion freut sich über Vorschläge für Wuppertaler Persönlichkeiten sowie auf Initiativen von Bürger:innen, die selbst Porträts im Rahmen der Reihe „Talgesichter“ veröffentlichen möchten. Interessierte können sich hierzu unter redaktion (at) blickfeld-wuppertal.de melden.

Das nachfolgende Projekt hieß Wir laufen rund. Im Februar 2023 brachte Marvin eine modifizierte Tischtennisplatte auf den Schusterplatz am Ölberg und lud die Nachbarschaft zum gemeinsamen Spielen ein. „Der Hintergedanke war ein Pull-Faktor, der auf einer emotionalen oder spielerischen Ebene funktioniert.“ Doch es ging nicht nur ums Spiel: Die Schläger waren mit Fragen wie „Wofür ist dein Teambuddy dankbar?“ bedruckt, um Gespräche zwischen den Teilnehmenden anzuregen. Eine Spielerin zeigte sich im Nachhinein begeistert und berichtete: „Es wurden Handy-Nummern ausgetauscht! Danke für das coole Projekt“.

Seine jüngste Aktion, People Pong, setzte Marvin in Kooperation mit den Wiesenwerken im Mirker Quartier um. Hier diente eine Reihe leuchtender Würfel als interaktives Spielelement. Ihre Bewegungen wurden auf eine Hauswand projiziert, und das Ziel war es, durch die Zusammenarbeit einen digitalen Ball im Spiel zu halten. Trotz technischer Herausforderungen war auch dieses Projekt ein Erfolg und die Würfel waren meistens besetzt.

Besonders wichtig ist für Marvin, dass die Begegnungen in seinen Projekten zwanglos bleiben. „Es kann angenehm sein, nicht in allem eine starke Meinung zu haben“. Er möchte Räume schaffen, in denen Begegnungen ohne Druck oder Erwartungshaltung stattfinden können.

Tischtennisrundlauf auf dem Schusterplatz – Foto: Celine de Groot

„Es ist nicht alles schwarz und weiß“

Marvin meint, dass „Zusammenkommen“ auf verschiedene Arten interpretiert werden kann. Ein privates Treffen ist oft intimer, während das Zusammenkommen, wie er es in seinen Projekten organisiert, eher lockerer und unverbindlicher ist. Trotzdem sieht er darin eine große Chance: „Das Zusammenkommen ist ein Ausgangspunkt für Weiteres.“

Dabei verfolgt er eine klare Idee: „Ohne das eine kann es das andere nicht geben, und deswegen ist das Ziel erst mal: das lockere Begegnen, damit da vielleicht etwas entstehen kann.“ Der Austausch ist für ihn die Qualität des Zusammenkommens. Dabei rückt er auch die Frage nach Eigen- und Außenwahrnehmung in den Fokus, die selten übereinstimmen. Genau hier setzt der Austausch an – als Möglichkeit, Verständnis aufzubauen und Vorurteile zu hinterfragen. „Häufig reden Menschen aneinander vorbei, weil sie oft direkt emotional aufgeladen in eine Diskussion gehen“, stellt er fest. Marvins Ziel ist es, diesem Missverständnis mit einem offenen und lockeren Ansatz entgegenzuwirken. Der spielerische Aspekt ist dafür ideal. Marvin ist überzeugt, dass jeder einen natürlichen Spieltrieb hat. Und selbst wenn Meinungsverschiedenheiten auftreten, sollte man versuchen, gelassen zu bleiben, findet Marvin – auch wenn das nicht immer leichtfällt: „Natürlich nervt mich, wenn etwas gegen meine Überzeugung ist, aber das gehört dazu und damit muss man umgehen können. Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen das so wahrnehmen würden“.

Nahaufnahme des Begriffs Zusammenkommen – Foto: Rebecca Hoven

„Wuppertal ist irgendwie so ein Sweet-Spot“

Nicht nur für seine Projekte, sondern auch persönlich fühlt sich Marvin in Wuppertal wohl und schätzt die Stadt. Besonders gefallen ihm die grüne Umgebung, schöne Altbauten, günstige Mieten und das Luisenviertel: „Es ist eine Großstadt, aber irgendwie auch eine Kleinstadt“. Ein weiterer Pluspunkt ist die Anbindung an andere Städte und die Niederlande: „Das kenne ich so auch gar nicht aus Mannheim, weil da war halt nur Mannheim“.

Auch sein soziales Umfeld, das er sich durch das Studium aufgebaut hat, bindet ihn an Wuppertal. Marvin findet es schön, spontan bekannte Gesichter zu treffen, während man in der Stadt unterwegs ist. Seitdem Marvin in Wuppertal lebt, hat sich die Stadt spürbar verändert – besonders in den Bereichen Kultur und Gemeinwohl: „Das tut der Stadt gut.“ Es beeindruckt ihn, wie sein Studiengang Public Interest Design die Stadt mitgestaltet: „Durch den Studiengang passiert noch mehr in der Stadt.“ Er erinnert sich an einen Sommer, in dem „gefühlt jedes Wochenende etwas aus dem Studiengang passiert ist“ – und das ganz ohne städtischen Einfluss.

Eine Veränderung hätte er jedoch gerne selbst mitbekommen: „Ich hätte gerne den alten Hauptbahnhof miterlebt, auch wenn einige sagen würden: Gut, dass du es nicht miterlebt hast“.

Spielende Nachbarschaft bei People Pong – Foto: Celine de Groot

Wuppertal im Wandel

„An sich hat Wuppertal eine Historie und das Engagement wird gewürdigt und gefördert“, erklärt Marvin. Er lobt Orte wie den BOB-Campus, die Wiesenwerke, das Kulturzentrum LOCH, den OpenGround, das Café 23, den Kunstkiez auf dem Ölberg sowie die Viertelflohmärkte und die Kunsthalle Barmen. Das sind vielversprechende Strukturen, die als Grundlage dienen und weiter ausgebaut werden können. Doch auch wenn sich in letzter Zeit viel in Wuppertal getan hat: Zu der viralen Schlagzeile „Das neue Berlin heißt Wuppertal“, die in der Zeit erschien, hat er eine klare Meinung: „Kann man so sehen, aber ich finde, Wuppertal hat einen Underdog-Charakter, was ganz cool ist“.

Gleichzeitig sieht er noch ungenutztes Potenzial der Stadt, besonders wenn es um den Zusammenhalt der Stadtteile geht. Als positives Beispiel nennt er das Projekt InnenBandStadt, das Barmen und Elberfeld „mehr versöhnen“ soll.

Ein weiteres unausgeschöpftes Potenzial sieht er in der Wupper, die seiner Meinung nach kaum in das Stadtleben integriert ist. „Ich finde das schade, dass die Wupper so zugebaut ist. Eigentlich profitiert jede Stadt, die einen Fluss hat, davon. Das ist ein Aufenthaltsort, ein Entspannungsort, ein Kulturort. In Wuppertal ist das nicht der Fall.“

Auch die Weiterentwicklung des Studiengangs Public Interest Design sieht Marvin als wichtig für Wuppertal: „Mehr Projekte in der Stadt könnten dazu beitragen, ein größeres Standing zu erreichen.“ Gerade weil die Universität durch ihre Lage auf dem Berg nicht wirklich im Stadtbild präsent sei, könne genau das eine Chance sein, um ihre Verbindung zur Stadt sichtbarer zu machen.

Marvin kann sich gut vorstellen, langfristig in genau diesen Bereichen zu arbeiten, da sie eng mit seinen eigenen Ambitionen verknüpft sind. Gleichzeitig sieht er aber auch die bürokratischen Hürden, die oft mit neuen Projekten einhergehen. Die Legitimation und Finanzierung solcher Vorhaben sei häufig ein langwieriger Prozess.

Und was steht als Nächstes an, Marvin?

„Mein kommendes Projekt wird mein Masterprojekt sein und im Sommer dieses Jahres stattfinden“ erzählt er. Vom 10. bis 13. Juni 2025 lädt Marvin zum Tür an Tür-Viertelfest ein – einem kostenlosen Nachbarschaftsfest mit Bühne, Buffet, Spielen und viel Raum für Begegnung. Täglich von 16 bis 21 Uhr wird das Fest an der Hebebühne (Mirker Str. 62, Wuppertal – GoogleMaps) stattfinden. Die Idee dahinter: „Wir wohnen oft Tür an Tür – und kennen uns trotzdem kaum. Das Viertelfest soll ein Anlass sein, genau das zu ändern – locker, spielerisch und offen für alle.“

Und auch darüber hinaus hat Marvin große Pläne für die Zukunft. Er möchte sich auf zwei Schwerpunkte konzentrieren: das Politische und die mentale Gesundheit. Die politische Komponente versteht er dabei nicht im parteipolitischen Sinne, sondern als das gesellschaftliche Aushandeln von Fragen des Zusammenlebens und Miteinanders. Menschen sollen zusammenkommen und ins Gespräch kommen, ohne sofort eine feste Meinung zu vertreten oder das Gegenüber überzeugen zu wollen.

Doch auch die mentale Gesundheit ist Marvin ein besonderes Anliegen. Er wünscht sich mehr Sichtbarkeit und weniger Konkurrenzdenken in der Gesellschaft. „Wir sind doch alle einfach nur Menschen und haben alle unsere Probleme und Vorprägungen“.

Die Weiterentwicklung seines Studiengangs Public Interest Design liegt ihm ebenfalls am Herzen. Wenn Marvin in anderen Städten unterwegs ist, lässt er sich zudem gerne inspirieren. Eine Idee, die er spannend findet, ist die Umstrukturierung leerstehender Innenstädte zum Gemeinwohl. Zudem wünscht er sich mehr öffentliche Orte, an denen man sich aufhalten kann, ohne etwas konsumieren zu müssen. Als positives Beispiel nennt er die Utopiastadt in Wuppertal.

Stadtentwicklung, gesellschaftlicher Zusammenhalt und der Raum für Begegnungen: Marvins Projekte zeigen, dass Städte nicht nur aus Gebäuden bestehen, sondern vor allem aus den Menschen, die sie beleben. Mit seinen Ideen möchte Marvin weiter dazu beitragen, dass Wuppertal ein Ort bleibt, der Menschen zusammenbringt – auf offene, spielerische und ungezwungene Weise ohne Vorurteile. »bak«

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