Runter vom Berg und rein in die historische Wirklichkeit

Eine Exkursion von Studenten des Historischen Seminars in die „Begegnungsstätte Alte Synagoge“

© Christoph Schönbach

„Die Tätigkeit des Historikers vollzieht sich vor allen Dingen in den Universitäten. Seine Arbeit ist aufgeteilt in spezialisierte Forschung und Lehre, die entweder in einem schwierigen, aber fruchtbaren Gleichgewicht zueinander stehen oder auch im offenen Gegensatz.“1 Da hat man es wieder. Der Historiker soll sich möglichst wenig vom akademischen Elfenbeinturm entfernen, in dem er über Jahre sein ganz persönliches Forschungszentrum aufgebaut hat. Dort entsteht historische Realität. Auf Papier gebannte Quellen scheinen der Schlüssel zur historischen Erkenntnis über unsere Gesellschaft zu sein. So entsteht ein individueller Mirkokosmos akademischen Treibens. Mit Erstaunen stellt der eine oder andere dann aber fest, dass da hinter den Bücherregalen des Elfenbeinturms noch eine ganz andere Fachwelt zu finden ist. Museen und Gedenkstätten bieten einen wenig bekannten Zugang zur Geschichte der Menschheit, die uns doch alle auf die eine oder andere Weise betrifft. Damit haben gerade die Historiker fast die Pflicht, sich um neue Perspektiven auf die Gesellschaft zu bemühen.

Eine solche bietet die Begegnungsstätte „Alte Synagoge“ in Wuppertal-Elberfeld, wo in diesen Tagen die Dauerausstellung zum jüdischen Leben in Berg und Mark („Tora und Textilien“) eröffnet worden ist.2 Unterschiedlichste Exponate und Texte beschreiben das jüdische Leben in der Region von seinen Anfängen bis in die heutige Zeit. Das älteste ausgestellte Schriftstück stammt aus dem Jahr 1682. Freilich kann in einer solchen Ausstellung das Kapitel des Holocausts nicht unerwähnt bleiben.3

Eben dieser Kontext bildet im Sommersemester 2011 den Hintergrund für eine Lehrveranstaltung zur Geschichte der „Judenvernichtung“ (Do 14-16) in den Jahren des Nationalsozialismus’. Studierende aus den unterschiedlichsten Semestern kommen hier zusammen, um die fachliche Diskussion über diese dunkle Epoche der deutschen Geschichte zu führen. Wie sah aber das Leben vor 1933 aus? Wie weit reichen die jüdischen Wurzeln in die Geschichte zurück? Grau ist alle Theorie. Nur wenige der heutigen Studierenden können sich ein Bild davon machen, wie sich jüdisches Leben vor 1933 und nach dem Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme gestaltete.

Grund genug, um aus dem universitären Bologna-Automatismus auszubrechen und vom Grifflenberg in die Stadt hinunterzusteigen. Am 13. Mai 2011 führt der Weg vom Schreibtisch zur Begegnungsstätte, wenn Studierenden die Chance gegeben wird, Antworten auf die formulierten Fragen zu finden. Urplötzlich wird das jüdische Leben dann mit einzelnen Schicksalen verbunden. Geschichte bekommt ein klares und lebendiges Profil. Abstrakte Kontexte werden an Biographien gebunden. Neue Perspektiven entstehen.

Und die Studierenden? Sie werden nach dem Besuch einen neuen Blick auf „ihre“ Wissenschaft werfen können, die mehr zu bieten hat, als Papier und laufende Aktenmeter in Archiven. Es bleibt zu hoffen, dass ein solches Angebot – so ganz ohne Leistungspunkte und Scheine – wahrgenommen wird. „Die Welt gehört denjenigen, die die neuen Dinge lieben, wie unser aller Meister Marc Bloch sagte“.4 Wie wahr. »vd«
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1M. Mastogregori: Historiografie, in: A. Kwaschik/ M Wimmer (Hrsg.): Von der Arbeit des Historikers. Ein Wörterbuch zu Theorie und Praxis der Geschichtswissenschaft. Bielefeld 2010, S. 97-102, hier: S. 100.
2http://www.ns-gedenkstaetten.de/nrw/wuppertal/besucherinformationen.html (Stand: 27.4.2011).
3Vgl. hierzu u.a. den Flyer zur Ausstellung, herausgegeben durch die Begegnungsstätte „Alte Synagoge“.
4Mastogregori, S. 102.

Gastautor: Dr. Rüdiger von Dehn – »vd«

Dr. Rüdiger von Dehn
Foto: Dr. von Dehn
Herr Dr. Rüdiger von Dehn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Neuere und Neueste Geschichte, Qualitätsbeauftragter und Dekansassistent im Fachbereich A.
Weitere Informationen zu Herrn Dr. von Dehn findet Ihr auf der Seite des Zentrums für Graduiertenstudium (ZGS): www.zgs.uni-wuppertal.de
Im Kontext mit diesem Artikel kann Herr Dr. von Dehn über die folgende Mailadresse kontaktiert werden: dehnvon (at) uni-wuppertal.de (Bitte per Hand abtippen)

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