Wahlbeteiligung gut, alles gut? Anmerkungen zur Seilbahnabstimmung 2019

50,49 % der Wuppertalerinnen und Wuppertaler stimmten im Mai 2019 über den Seilbahnbau in Wuppertal ab. Das große Interesse täuscht über einen entscheidenden Umstand hinweg: Beteiligung ist nicht nur eine Frage von Stellenwert und Betroffenheit, sondern auch, in welchem Stadtteil eine Person wohnt. Eine Kurzanalyse.

Um es vorweg klar zu sagen: Dieser Text soll keine weitere Abhandlung zur Seilbahn werden. Die Befragung hat stattgefunden, das Ergebnis ist eindeutig, das Projekt politisch begraben. Die überraschend hohe Beteiligung scheint ein deutlicher Beweis zu sein, dass relevante politische Fragen zu einem großen Interesse der Bürger und zu einer hohen demokratischen Qualität der Entscheidung führen. Grund genug, sich in Zeiten allgemeiner Wahlbeteiligungs-Euphorie deren Struktur genauer anzusehen. Sprich: Wer geht eigentlich wählen, wer bleibt zu Hause?

Soziale Lage und Wahlbeteiligung

In ihrer Studie „Prekäre Wahlen“ kam die Bertelsmann-Stiftung 2013 zu dem Schluss, dass die Wahlbeteiligung in Wuppertal sehr ungleich verteilt ist. 1 So ist diese in Stadtvierteln mit geringer Arbeitslosigkeit und hohem durchschnittlichen Bildungsgrad überdurchschnittlich, während Viertel mit relativ hoher Arbeitslosigkeit unterdurchschnittliche Beteiligungen zu verzeichnen haben. Und die Differenz ist alles andere als trivial: 61,8 % der Oberbarmer gingen 2013 zur Bundestagswahl – gegenüber 78,3 % im Bezirk Uellendahl-Katernberg. Das gleiche Bild zeigt sich bei der Kommunalwahl 2014: 35,8 % Beteiligung in Oberbarmen, 55,9 % in Uellendahl-Katernberg. Zum Vergleich: Die Arbeitslosigkeit lag im gleichen Zeitraum in Oberbarmen bei 12,6 %, in Uellendahl-Katernberg betrug sie lediglich 4,8 %. Auf den Plätzen 2 und 3 in Sachen Wahlbeteiligung folgten Cronenberg (4% Arbeitslosigkeit) und Ronsdorf (5 % Arbeitslosigkeit). Im Falle der Seilbahnabstimmung setzte sich Cronenberg mit knappen Abstand (62,9 zu 60,9 %) an die Spitze der beteiligungsaffinen Stadtteile.

Grafische Auswertung

Seilbahn

Kommunalwahl 2014

Quellen: Stadt Wuppertal (Kommunal-, Europawahl und Seilbahn-Abstimmung) und Bertelsmann Stiftung (Bundestagswahl 2013). Die Grafiken sind eigene Darstellungen.

Faktoren der Beteiligung

Man könnte nun einwenden, die Menschen in Cronenberg wären auch direkter vom Bau der Seilbahn betroffen gewesen, als die Bewohner anderer Stadtviertel. Zwei Punkte stehen diesem Argument jedoch entgegen: Die zweithöchste Abstimmungsbeteiligung verzeichnete Uellendahl-Katernberg, knapp vor Ronsdorf. In beiden Stadtteilen durfte man nicht befürchten, von der Trassenführung unmittelbar betroffen zu sein. Der Stadtbezirk Elberfeld, der unter anderem die Talstation und das Umfeld der Universität umfasst, verzeichnete eine Beteiligung von 47,53 %, ca. 3 Prozentpunkte unter dem stadtweiten Durchschnitt. Allgemein scheint auch kein Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung und Stärke der Ablehnung zu bestehen. Betrachtet man jedoch die einzelnen Briefwahlbezirke Elberfelds, so fällt auf, dass die Abstimmungsbeteiligung am Grifflenberg deutlich (28 Prozentpunkte) über der im Ostersbaum liegt. Ein Effekt der unmittelbaren Betroffenheit durch die Trassenführung auf die Abstimmungsbeteiligung ist an dieser Stelle also keineswegs ausgeschlossen, wenn nicht gar höchstwahrscheinlich. Dennoch bleibt die Frage, warum ein Stadtteil wie Uellendahl-Katernberg, der nicht unmittelbar betroffen ist, eine so viel höhere Abstimmungsbeteiligung aufweist als beispielsweise Oberbarmen.

Die „direkte Betroffenheit“ der Stadtbezirke mit Seilbahnstation kann die Unterschiede in der Wahlbeteiligung daher insgesamt nur unzureichend erklären.

Die Gründe für die strukturelle Ungleichheit sind anderswo zu suchen. Vergleicht man die Beteiligung und die Arbeitslosigkeit in den Stadtteilen, erweckt es den Eindruck, dass die höchste Abstimmungsbeteiligung jene Stadtteile mit der geringsten Arbeitslosenquote verzeichnen. Das deckt sich mit den Ergebnissen der Bertelsmann-Studie von 2013, den Daten zur Kommunalwahl 2014 und vielen weiteren Forschungsergebnissen zu Nicht-Wählern: Die hier entstandene Differenz von um die 20 % führt zu einer „sozialen Schieflage“ in der Wahlbeteiligung, die sich durch alle Wahlen auf jeder politischen Ebene zieht. Das ist auch bei den direkten und unmittelbaren Bürgerentscheiden der Fall, welche vielen als wichtigstes aller demokratischen Verfahren gilt.

Seilbahnabstimmung bekräftigt soziale Unterschiede in der Beteiligung

Man könnte nun einwenden, dass jeder die freie Wahl hat, wählen zu gehen oder sich politisch einzubringen. Fest steht, dass jede und jeder die Möglichkeit hat, sich an Abstimmungen und Wahlen zu beteiligen. Nur muss sich eine Gesellschaft die Frage stellen, welches Instrument der Beteiligung zu welchem Zwecke mit welcher Qualität genutzt werden soll, und vor allem, ob sie die sich verfestigende (Selbst-)Exklusion großer Teile der Bevölkerung akzeptieren möchte.

Kurz gesagt: Möchten wir als Gesellschaft akzeptieren, dass sich ganze Milieus in zunehmend segregierten Stadtvierteln aus demokratischen Verfahren selbst ausschließen?

Was tun?

Alternative Formen der Bürgerbeteiligung stünden bereit, die die repräsentative Demokratie ergänzen – nicht aber ersetzen – können. 2 Weder Paternalismus noch Abwertung und Ignoranz werden helfen, diese tief sitzende Schieflage zu überwinden. Vorschläge und Konzepte gäbe es aber genug.

Fußnoten

Fußnote 1

Bertelsmann Stiftung 2014: Prekäre Wahlen. Milieus und soziale Selektivität der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013. Online verfügbar unter www.wahlbeteiligung2013.de.

Die Nachfolgestudie zur Bundestagswahl kommt zu dem Schluss, dass sich durch die Mobilisierung der AfD diese Spreizung erstmals seit 1998 verringert hat. Dennoch verbleibt sie weiterhin auf hohem Niveau. Bertelsmann Stiftung 2017. Online verfügbar unter www.bertelsmann-stiftung.de.

Fußnote 2

Cathy Reinbothe: Kommentar. Verlierer der Seilbahn-Befragung ist das Vertrauen in unsere repräsentative Demokratie. Online verfügbar unter www.blickfeld-wuppertal.de.

Zur Gastautoren Markus Wessels

Markus Wessels studiert im Master Politikmanagement an der Duisburger NRW School of Governance. Zuvor absolvierte er seinen B.A. in Politik- und Wirtschaftswissenschaften an der Bergischen Universität. Zuletzt arbeitete er anlässlich der Europawahlen im Projekt #mehrBeteiligung des Europa-Lehrstuhls der Universität Duisburg-Essen und schrieb als Freier Autor für die Westdeutsche Zeitung.

E-Mail: markus.wessels@blickfeld-wuppertal.de

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  1. Das Ergebnis ist nun nicht wirklich überraschend und zeigt auch mit der zusätzlichen sozialen Komponente, dass diese Bürgerbefragung mit einer bloßen ja/nein- Option als Kriterium zur Entscheidungsfindung völlig untauglich war, aber die Ratsmehrheit war hier leider hartnäckig beratungsresistent, sie wollten einfach nicht.
    Auch wenn das Abstimmungsthema mehr mit den Alltagsproblemen der Menschen in den benachteiligten Stadtteilen zu tun gehabt hätte, hätte sich an den Unterschieden in der Wahlbeteiligung nach Stadtbezirken nicht viel geändert.
    Es bleibt neben dem Scheitern des Seilbahnprojekts die bittere Erkenntnis, dass das wissenschaftlich anerkannte und erfolgreiche Verfahren der Planungszelle / Bürgergutachten ausgerechnet in der Stadt, in der es erfunden wurde, einfach beiseite geschoben wurde, und die Arbeit der Bürgergutachter im Müll gelandet ist.

    Überall, wo das Verfahren der Planungszelle angewendet wurde, hat das Ergebnis zu einer tragfähigen Entscheidung für die Räte geführt. Bürgerbegehren gegen Ratsbeschlüsse auf der Basis eines Bürgergutachtens hat es nirgendwo gegeben.

    Leider ist mit der Seilbahn auch dieses bewährte Bürgerbeteiligungsverfahren in Wuppertal zunächst mit verbrannt, der Flurschaden, den die Ratsmehrheit auf beiden Politikfeldern angerichtet hat ist immens. Ein Schub für eine erhöhte Wahlbeteiligung bei der nächsten Kommunalwahl ist sicher nicht zu erwarten.

  2. Warum jetzt auch noch Wahlverhalten und soziale Lage der WählerINNEN aus 5 Jahre alten Studien zur Bundestags- und Kommunalwahl dafür herhalten müssen, einer Entscheidung ihre Qualität abzsprechen – ich weiß wirklich nicht, wessen Sau hier noch tot durchs Dorf getrieben werden soll.

    „Der Stadtbezirk Elberfeld, der unter anderem die Talstation und das Umfeld der Universität umfasst, verzeichnete eine Beteiligung von 47,53 %, ca. 3 Prozentpunkte unter dem stadtweiten Durchschnitt.“

    Von Interesse wäre diese Feststellung nur, wenn feststünde, daß trotz der geringeren Wahlbeteiligung die Zustimmung zu dem Prüjekt deutlich überwogen hätte, daß also eine vermeintlich betroffene Minderheit von einer angeblich unbeteiligten Mehrheit überstimmt worden wäre – ich habe meine Zweifel ob dem so ist – und dies beträfe nicht nur die räumliche, sondern auch die finanzielle Betroffenheit und nicht nur für die Zeit eines Studiums, sondern für die Zeit, die mensch hier lebt, auzuschließen wären sowieso AutofahrerINNEN und grundsätzlich Nicht- oder WenignutzerINNEN des ÖPNV; da nicht betroffen !

    Insgesamt waren Für und Wider offensichtlich so gut verteilt, daß selbst hierfür gewählte und bezahlte PolitikerINNEN sich außer stande sahen, eine Entscheidung zu treffen, die nicht so oder so ihrem Image geschadet hätte:
    – das Für lag wohl eher auf Studiseite,
    was das Rektorat und das HSW auf’s Spielfeld brachte, mit gerüchtweise dienstlichen Anweisungen, wie man abzustimmen hätte und den AStA; übrigens auch nur mit einer Betroffenheitslegitimation durch Wahlbeteilung von deutlich unter 10%,
    – das Wider lag offensichtlich eher bei der Stadt Wuppertal, also ihren EinwohnerINNEn, die es, gelinde gesagt, für eine blöde Idee halten, was hier einige vehement verteidigen:
    „…die doofen Wuppertaler wollen uns nicht unsere Seilbahn gönnen und wissen gar nicht, wie gut uns die täte…“ – es hat schon was kindisches.

    Ich wüßte nur zu gerne welche wirklichen Gründe hinter deren Absichten steckten.
    Vielleicht sollte man doch mal hinter den Kulissen die Verflechtungen etwas aufbröseln.

    Mit einer für totgeborene öffentliche Projekte statistisch gesehen hohen Wahrscheinlichkeit kämen da ganz neue Argumente an’s Tageslicht.

    Wie diesen an den Haaren herbeigezogenen Erläuterungen, fehlt es dem Artikel an folgerichtigen Schlüssen: die soll der/die geneigte LeserIN selbst herauswürgen?

    „Grund genug, sich in Zeiten allgemeiner Wahlbeteiligungs-Euphorie deren Struktur genauer anzusehen“?
    Grund genut, sich in Zeiten sehr spezieller Wahlbeteiligungs-Diffamierung deren Struktur genauer anzusehen !

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