Lehramtsstudium: Für das Praxissemester „müssen viele ihre Jobs kündigen und sich verschulden“

Wer Lehrer:in werden will, muss im Master-Studiengang das Praxissemester absolvieren. In diesem sollen Studierende ihr im Studium erworbenes Wissen in der schulischen Berufspraxis erproben – unvergütet. Dagegen regt sich Widerstand: Studentin Robin Joana Hohensee hat die Online-Petition "Vergütete Studienleistungen, (Pflicht-)Praktika und Praxissemester!" gestartet. Über 4.800 Unterstützer:innen haben sie bislang unterzeichnet.

Robin Joana Hohensee ist Studentin an der Universität Duisburg-Essen (UDE) und möchte in Zukunft die Fächer Deutsch und Kunst unterrichten. In diesem Monat beginnt für sie, wie für viele Lehramtsstudierende in Nordrhein-Westfalen, das Praxissemester. In der damit verbundenen Vorbereitung hat sie festgestellt: „Das Praxissemester ist unvereinbar mit meinem bisherigen Nebenjob als Vertretungslehrerin.“ Damit sei sie nicht alleine, wie sie berichtet: „Zahlreiche Kommiliton:innen haben mir von existenziellen Sorgen erzählt. Um das fast halbjährige Praxissemester, das als Vollzeit-Pflichtpraktikum ausgestaltet ist, absolvieren zu können, müssen viele ihre Jobs kündigen und sich verschulden. Das sind keine idealen Studienbedingungen für junge Erwachsene und angehende Lehrpersonen.“

Unbezahlte Zeit im Praxissemester war vorher Teil des bezahlten Referendariates

Vor Einführung des Praxissemesters haben angehende Lehrer:innen als Vorbereitungsdienst ein zweijähriges Referendariat an einer Schule durchlaufen. Diese bezahlte, zweite Phase der Lehrer:innenausbildung wurde jedoch von 24 auf 18 Monate reduziert. Die übrigen sechs Monate erfolgen nun im unbezahlten Praxissemester während des Master-Studiums. „Als ich erfahren habe, dass das unvergütete Praxissemester einst ein Teil des bezahlten Referendariats war, konnte ich nicht fassen, dass Studierende so wenig Unterstützung erfahren, während sie in skandinavischen Ländern fürs Studieren bezahlt werden.“, kritisiert Hohensee. So gibt es etwa in Dänemark die statens uddannelsesstøtte (SU), eine staatliche Bildungsunterstützung in Höhe von rund 700 Euro, die unabhängig vom Elterneinkommen erfolgt und nicht zurückgezahlt werden muss.

Robin Joana Hohensee hat die Petition initiiert © Hohensee

Für Hohensee ist die fehlende Vergütung nicht nur mangelnde Wertschätzung, sondern zugleich fehlende Chancengleichheit: „Alleinerziehende können sich ein Studium seltener leisten, erst recht aber kein unvergütetes Vollzeitpraktikum mit einer Dauer von mehreren Wochen, geschweige denn Monaten! Zudem erhalten viele Studierende kein BAföG und sind von ihren zwei oder mehr Nebenjobs abhängig, mit denen sie meist dennoch an der Armutsgrenze leben.“ Die Armutsgrenze liegt laut dem Wirtschaftlichen und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) bei 1.126 Euro im Monat. Der BAföG-Höchstsatz befindet sich hingegen bei 861 Euro.

NRW-Schulministerium wies 2016 eine Forderung nach Vergütung des Praxissemesters zurück

Bereits 2016 wurde eine Online-Petition zur Vergütung des Praxissemesters gestartet (blickfeld berichtete), die fast 12.000-mal unterzeichnet wurde. Da die Studierenden „im Praxissemester durch Lehrkräfte an Schulen und durch Fachleitungen der Seminare ausgebildet“ werden und im „Unterschied zum Vorbereitungsdienst (…) keine eigenverantwortlichen Unterrichtsstunden“ erteilen, „kann das Praxissemester nicht vergütet werden“, erklärte das NRW-Schulministerium damals zur Forderung der Petition. Diese Begründung lässt Robin Joana Hohensee nicht gelten: „Selbst, wenn dies der Fall wäre, sind Studierende zu anderen, eigenverantwortlichen Arbeiten im Rahmen des Praxissemesters gezwungen, ohne die sie das Studium nicht erfolgreich absolvieren können.“ Dazu zählen laut der Lehramtsstudentin beispielsweise Forschungsarbeiten und Unterrichtsplanungen, aber auch die Übernahme mehrerer Unterrichtsstunden, „wobei einige sich sogar um die Benotung der Schüler:innen kümmern.“ Zudem ignoriere das Ministerium die normalen Unterhaltskosten eines Menschen. „Die Konsequenzen sind Studienabbrüche und frustrierte Lehramtsanwärter:innen.“

Aktuelle Online-Petition fordert Beschluss über eine Vergütung vor dem Praxissemesterstart im Februar

In ihrer Petition fordert Hohensee die Fassung „eines Beschlusses über die Wertschätzung Lehramtsstudierender in finanzieller Form, die aus Dringlichkeitsgründen in der Woche vor dem Praxissemesterstart im Februar 2022 fällig wird.“ Weiter soll „eine solche Beschlusserläuterung für ein generell vergütetes (Lehramts-)Studium bis Mitte des Jahres 2022“ erfolgen. In Richtung Landespolitik appelliert sie: „Fördern Sie eine höhere Motivation angehender Lehrkräfte, indem Sie ihnen die existenziellen Sorgen nehmen.“ »mw«

Die vollständige Online-Petition „Vergütete Studienleistungen, (Pflicht-)Praktika und Praxissemester!“ ist abrufbar unter:

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