Ausbildung statt Studium: Was, wenn die Uni doch nicht die beste Wahl war?

2018 entschied sich Wiebke Marie Proebsting dazu, ihr Studium abzubrechen und eine Ausbildung als Augenoptikerin zu beginnen. Heute sagt die 33-Jährige, dass der Abbruch die beste Entscheidung ihres Lebens war. Um diese jedoch so zu akzeptieren, brauchte es einen langen Prozess – begleitet von einer Tagesklinik, Berufsorientierungsangeboten und viel Leistungsdruck.

,,Ich habe Kunst studiert. Ein paar Semester; paar ist gut, naja ziemlich viele“

Heute hat Wiebke eine abgeschlossene Augenoptikerin-Ausbildung. Ihr Ziel war aber einmal, Lehrerin zu werden. Zumindest war das ihr Berufswunsch, als sie 2011 angefangen hat, an der Bergischen Universität Wuppertal zu studieren. Sie ist kreativ, in ihrer Freizeit viel mit Freund:innen unterwegs und bastelt gerne. Da kam ein Studium in den Bereichen Kunst und Germanistik wie gelegen.

Was sie am Studium mochte, waren das flexible Zeitmanagement und die individuelle Wahl der Themenfelder. Gleichzeitig hatte Wiebke aber das Gefühl, dass die Uni nicht wirklich organisiert war: Etwa in puncto Scheinverwaltung und Sprechstunden von Lehrenden. Wiebkes Zeitplan musste stets an die Studienorganisation angepasst werden: „Ich bin sehr unstrukturiert und war die ganze Zeit damit beschäftigt.“ Als sie mit 25 Jahren keinen Anspruch mehr auf Kindergeld hatte, wurde auch noch die Finanzierung zum Problem. Sie arbeitete neben dem Studium und bekam Unterstützung von ihren Eltern, beneidete aber auch immer Studierende, die vor dem Studium eine Ausbildung gemacht haben. Nach einigen Jobs, welche eher als Mittel zum Zweck dienten, bekam Wiebke eine Werkstudierendenstelle in einem Fotogeschäft. Dort merkte sie: Arbeiten macht ihr viel mehr Spaß als das Studium.

Aber was sagen die Eltern dazu?

„Ich brauche eine vorgegebene Struktur, ich brauche Arbeitszeiten – ich brauche Aufgaben und Ziele.“ Wiebke wurde klar, dass sie nicht mehr so wie bisher weitermachen kann. Sie wollte keine Lehrerin mehr werden: „Es hat meinen Talenten entsprochen, aber meine Leidenschaft war es nicht. Ich wollte etwas finden, bei dem ich mit Herzblut dabei bin.“ Bis sie den endgültigen Schlussstrich ziehen konnte, folgten viele Gewissensbisse – insbesondere, weil ihre Eltern das Studium finanziert haben und sie sich nicht vorstellen konnte, alles einfach so hinzuschmeißen. Ihren Eltern von der Entscheidung zu berichten, war nicht einfach: „Manchmal brauchen Eltern ein bisschen Zeit, um das zu akzeptieren.“ Obwohl Wiebkes Mutter anfangs Zweifel hatte, ist sie heute sehr stolz darauf, dass ihre Tochter die Ausbildung geschafft hat.

Trotzdem sieht Wiebke hauptsächlich sich selbst als die Person, von der der Leistungsdruck ausging: „Der Gesellschaft ist es egal, was ich mache.“

„Ich wäre niemals von allein darauf gekommen, Augenoptikerin zu werden“

Nach der Entscheidung ihr Studium abzubrechen, litt Wiebke unter Depressionen, befand sich in einer Therapie und besuchte eine Tagesklinik: „Es war ein großer Schritt und ich habe darunter gelitten.“ Um finanzielle Hilfe, damals Arbeitslosengeld 2, heute Bürgergeld, zu beantragen, durfte sie an keiner Universität eingeschrieben sein. Sie nutzte die Zeit, um das Vergangene zu reflektieren und ihre Zukunft zu planen. Handwerkliche Berufe interessierten sie besonders. Anfänglich versuchte Wiebke in Schreinereien Fuß zu fassen, doch die Erfahrungen um den Bewerbungsprozess herum waren überwiegend negativ. Es herrschte viel Wettbewerb und einige ihrer Anschreiben bleiben unbeantwortet.

Wiebke hat eine abgeschlossene Augenoptikerin-Ausbildung – Foto: bak

Wiebke suchte Hilfe beim Jobcenter. Es dauerte nicht lange, bis ein Mitarbeiter sie fragte, ob die Ausbildung als Augenoptikerin eine Option wäre. „Ich wäre niemals von allein darauf gekommen, Augenoptikerin zu werden“, meint Wiebke. Sie informierte sich weiter über den Beruf, machte einen Eignungstest und stellte sich anschließend persönlich in einer Filiale vor. Nach dem erfolgreichen Bewerbungsprozess startete 2019 dann ihre Ausbildung. Seit 2022 ist Wiebke ausgebildete Augenoptikerin. Sie betont dabei, dass die Hilfe des Jobcenters eine große Unterstützung war: „Die Leute waren verständnisvoll, sind auf mich zugegangen, haben mir zugehört und waren respektvoll.“ Von Berufsorientierungsangeboten an Universitäten oder Beratungsstellen für Studienaussteiger:innen wusste sie damals nichts.

Der Arbeitsalltag als Augenoptikerin

„Ich mache Brillen, verkaufe Brillen und berate Leute, die Brillen kaufen wollen.“ Wiebke ist Springerin, das bedeutet, dass sie in keiner festen Filiale eingestellt ist, sondern nach Bedarf in unterschiedlichen Filialen arbeitet. Neben Tätigkeiten wie den Laden aufräumen, Brillen kontrollieren oder Inventur, besteht ihr Arbeitsalltag aus dem Arbeiten in der Werkstatt und Kundenbetreuung. Wiebke kann sich mit ihrem Job identifizieren. Besonders erfüllt sie dabei die Fähigkeit, den Wünschen ihrer Kund:innen entgegenzukommen. Ihr Dienstauto ist ebenfalls ein großer Pluspunkt. Sie ist froh, diesen Weg gegangen zu sein. Auch, wenn sie dann arbeitet, wenn andere freihaben, sie aufgrund ihrer Springerstelle keinen festen freien Tag unter der Woche hat und manchmal auch eine Sechs-Tage-Woche meistern muss.

Im Laufe ihrer bisherigen beruflichen Karriere hat Wiebke lernen können, wie sie sich und ihr Auftreten selbstsicher präsentieren kann. Auch die Planung der Tagesstruktur gelingt ihr heute deutlich besser als noch während des Studiums. In der Ausbildung war die Struktur vorgegeben und musste verfolgt werden. Wiebke betont dabei das „Musste“. Sie arbeitet aber weiterhin an der Balance zwischen ihrem Privat- und Arbeitsleben.

Karriere oder Kinder: Die Vereinbarkeit von privaten und beruflichen Zielen

Wiebke sieht keine Vorteile darin, vor ihrer Ausbildung studiert zu haben. Für sie persönlich ist es eher ein Nachteil: Der Zeitdruck macht sich in ihrem Leben bemerkbar. Vielleicht will sie ihren Meister machen. Kinder kriegen ist aber auch ein Thema: „Ich muss mich entscheiden – entweder Karriere oder Kinder.“ Aus der heutigen Perspektive wünscht sie sich, vor dem Studium mehr nachgedacht zu haben, was sie nach dem Studium beruflich machen möchte. Wiebke meint, sich zu viel Zeit gelassen zu haben. Statt der Ablenkung durch die Minijobs hätte sie sich mehr auf das Studium fokussieren müssen. Ob sie aus ihren „Fehlern“ von damals gelernt hat? „Keine Ahnung“, antwortet sie. Die Fehler aus ihrem Studium lassen sich nicht auf das heutige Berufsleben anwenden. Relevanter wären sie dann, wenn sie sich heute für ein neues Studium entscheiden würde.

„Wo möchte ich den Rest meines Lebens verbringen und bin ich da dann glücklich?“

Was würde Wiebke einer Person raten, die mit ihrem Studium unzufrieden ist? „Ich würde raten, auf das Herz zu hören und dann nach der persönlichen Leidenschaft zu gehen. Nicht nach dem, was man schon kann oder schon weiß, sondern nach dem, worauf man neugierig ist. Die Neugier ist das Wichtigste.“ Das Langzeitstudium, wie Wiebke es nennt, führte bei ihr weder zu einer beruflichen Entscheidung noch zu anderen Entwicklungen.

Wichtig ist für Wiebke auch der wirtschaftliche Faktor. Eine frühe berufliche Entscheidung bedeutet auch finanzielle Vorteile: Denn während Wiebke heute, noch recht frisch aus der Ausbildung, ein Einsteiger:innen-Gehalt bekommt, ist ihr gleichaltriges Umfeld, das das schon länger im Beruf ist, finanziell besser aufgestellt. Auch wenn das Einkommen als Optiker:in nicht besonders hoch sei, betont Wiebke: „Man muss sich überlegen: Wo möchte ich den Rest meines Lebens verbringen und bin ich da dann glücklich?“ Gleichzeitig stellt sie klar, dass ein Studium nicht ein Garant für einen hochdotierten Job ist.

Ist Wiebke heute glücklich? Für sie war der Entschluss, das Studium abzubrechen, die beste Entscheidung ihres Lebens. Und ihre berufliche Situation heute? „Es ist noch nicht so, wie ich es mir erträumt habe, aber es ist okay. Ich komme klar und das ist das Wichtige.“ »bak«

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