Verkehrswende: So nutzen Wuppertaler:innen ihr Lastenrad

167.000 Lastenräder wurden 2021 laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) verkauft. Rund zwei Prozent der deutschen Bevölkerung, was 1,66 Millionen Menschen bedeutet, nutzen laut Fahrrad-Monitor 2021 bereits eins, Zwölf Prozent der Befragten können sich vorstellen, eins anzuschaffen. Doch wie sieht das in der Praxis aus? - wir haben sechs Wuppertaler nach ihren Erfahrungen mit einem Lastenrad gefragt.

Das Leihlastenrad der Allgemeine Baugenossenschaft Wuppertal e.G. - Foto: ABG

Das Lastenrad von der Baugenossenschaft: Neue Mobilität im Wohnquartier

Christian Theimann ist Vorstand der Allgemeine Baugenossenschaft Wuppertal e.G. (ABG), die für ihre Mitglieder ein Leihlastenrad bereitgestellt hat: „Mobilität ist im Wandel und so suchen auch unsere Mitglieder nach neuen Mobilitätsformen. Vor diesem Hintergrund haben wir einen Testballon gestartet, um einerseits die Resonanz zu ermitteln und andererseits organisatorische Fragen zu klären. Letztere haben die Mieter:innen selbst gelöst, indem sie den Verleih und die Weitergabe von Fahrradschloss und Akku selbst organisieren. Ein halbes Jahr nach dem Start Anfang 2022 wies der Tacho des Lastenrades bereits ungefähr 1.700 Kilometer aus. Eine Distanz, die sonst im Regelfall mit dem Auto zurückgelegt worden wäre. Das ist ein beachtlicher Erfolg. Deswegen planen wir das Angebot unserer Genossenschaft weiter auszudehnen und ein digitales Ausleihsystem aufzubauen. Mit guten Alternativen braucht nicht jeder ein oder zwei Autos.“

„Papa, hol uns bitte mit dem Lastenrad ab“

Ingo Kalinowski wohnt in der Nordparksiedlung, ist Mieter bei der Allgemeine Baugenossenschaft Wuppertal eG (ABG) und nutzt mit seiner Familie seit Januar 2021 das Leihlastenrad der Genossenschaft. „Bis dahin hatte ich noch keinerlei Erfahrungen mit einem Lastenrad.“ Der Einstieg gelang schnell, seitdem bleibt das Auto öfters mal stehen, wie Kalinowski erklärt: „Wir sind bei Wind und Wetter mit dem Lastenrad unterwegs, holen die Kinder von der Schule ab, planen unsere Freizeit damit, machen Ausflüge und nutzen es zum Teil für alltägliche Erledigungen.“ Gerade bei den Kleinen erfreut sich das Lastenrad einer großen Beliebtheit: „Oft sagen meine Kinder: Papa, hol uns bitte mit dem Lastenrad ab.“

Das Leih-Lastenrad oder auch das eigene Fahrrad sind für die Familie eine gute Ergänzung zur Gesamtmobilität. „Das Auto nutzen wir für Ausflüge und Urlaube, sowie für längere Fahrten, wenn es zu Oma und Opa nach Schwelm geht“, so Kalinowski. Daneben werden Wege, etwa zur Arbeit, auch zu Fuß, selten mit dem Nahverkehr zurückgelegt.

Beruflich mit dem Lastenrad unterwegs

Mit Kletterausrüstung und Kettensäge im Gepäck ist Martin Walzberg per Lastenrad zu seinen Kunden unterwegs: „Der Ursprungsgedanke war, die eigene CO2-Bilanz zu verbessern. Dazu habe ich länger recherchiert, denn ich wollte ein Lastenrad haben, bei dem ich nicht permanent die Beladungsgrenze berühre. Meine Kletterausrüstung und Kettensäge kommen in Summe auf fast 100 Kilogramm – zuzüglich meines eigenen Gewichts. Das von mir seit über zwei Jahren genutzte Modell erlaubt eine Zuladung von 320 Kilogramm und ist damit ein vollwertiger Ersatz für ein Auto. In den Fällen, in denen ich schwerere Lasten befördern muss, zum Beispiel bei der Entsorgung eines großen Baumes, kann ich auf meine Kollegen in der Baumpflege zurückgreifen, die dann unterstützen.

Das Lastenrad als „vollwertiger Ersatz für das Auto“ – Foto: Jonas Walzberg

Neben meiner Selbstständigkeit erledige ich mit dem Lastenrad auch alle Alltagswege, wie beispielsweise zum Einkaufen. Klar, im Winter sollte man sich etwas dicker anziehen, aber mit dem Lastenrad macht es auch mehr Spaß als mit dem Auto – und hält zudem gesund. Ich kann überall parken, muss nicht lange suchen und bin über die Trassen auch schneller unterwegs. Als nächstes plane ich mit dem Lastenrad einen Camping-Urlaub in der Niederlande. Für Wuppertal würde ich mir wünschen, dass die Talachsen, allen voran die B7, mit ordentlich und durchgehend ausgebauten Fahrradwegen bestückt werden.“

Zwei Lastenräder als neue Familienfahrzeuge

Yannick Christiansen und seine Familie haben das Auto abgeschafft und sind auf zwei Lastenräder umgestiegen: „Während eines Besuches in Oldenburg probierten wir ein Leih-Lastenrad, ähnlich wie das Fienchen in Wuppertal, aus und haben sofort Feuer gefangen. Dank des Supercargo-Ladens (blickfeld berichtete) konnten wir verschiedene Modelle ausprobieren. Da wir in einem Viertel wohnen, das über wenig Stellplätze und Garagen verfügt, haben wir uns für das Modell ‚Midtail Lastenrad‘ entschieden, von denen zwei Exemplare gut in unseren Keller passen. Diese haben einen verlängerten und stabileren Gepäckträger. Seit dem Jahreswechsel 2021/2022 haben wir beide Räder in regelmäßiger Nutzung und schätzen vor allem ihre Flexibilität: Der erweiterte Gepäckträger kann als Ladefläche oder als Sattel, etwa für die Kinder, genutzt werden. Die Räder sind günstiger als das von uns vorher kaum genutzte Auto samt aller damit verbundenen Kosten, wie Tanken, Versicherung, TÜV und Verschleiß. Zudem lassen sie sich überall kostenfrei abstellen und die Parkplatzsuche ist wesentlich einfacher als mit dem Auto. Wünschen würde ich mir eine bessere Fahrradinfrastruktur in Wuppertal, die ich auch ohne Bedenken meine Kinder benutzen lassen würde. Dazu gehören zum Beispiel gesicherte Fahrradwege, die nicht zwischen parkenden Autos und dem PKW-Verkehr verlaufen, wie etwa auf der Westkotter Straße. Überdachte Fahrradbügel als Abstellmöglichkeiten sind ebenfalls wünschenswert.“

Mit dem Lastenrad durch Wuppertal: Im ersten Jahr über 3.000 Kilometer nur mit Alltagstouren

Der Wuppertaler Eike Rüdebusch ist ebenfalls mit dem Lastenrad durch Wuppertal unterwegs: „Soll nicht wie ein Werbebeitrag klingen, aber das Lastenrad hat die Mobilität meiner Familie komplett umgestellt. Wir haben uns ein Long-John-Modell für Familien gekauft, als wir innerhalb der Stadt umgezogen sind. Für uns stellte sich die Frage: Wenn wir nicht mehr alles zu Fuß erreichen können – Schule, Kita, Einkauf, Arbeit -, wollen wir dann anfangen, alles mit dem Auto anzufahren? Wir hatten keine Lust, die kurzen Wege damit zurückzulegen, zumal neben den Wegen auch die Zeit für die Parkplatzsuche und Kosten anfallen. Wir haben uns dann für das Lastenrad entschieden, eben mit Platz für unsere drei Kinder. Die Kinder lieben es und wir auch. Im ersten Jahr haben wir nur durch diese Alltagstouren mehr als 3.000 Kilometer zurückgelegt. Und einige Kilo transportiert: Getränkekisten, Lebensmittel, Utensilien vom Baumarkt, wir hatten nie Probleme, die Einkäufe unterzubringen. Klar, ein Lastenrad kostet viel Geld. Das muss man ausgeben wollen und können. Aber man spart eben anderswo auch Zeit und Geld. Bei uns gab keinen Tag, an dem wir es bereut haben – vielmehr fehlt es uns wirklich, wenn es mal in der Inspektion ist. Wir genießen diese Art, mobil zu sein. Und fühlen uns angesichts der Größe des Rads auch relativ sicher auf den Straßen – eng überholt worden bis ich bisher fast nie.“

Unterwegs mit dem Long-John-Modell – Foto: mw

Mit dem Lastenrad hoch zur Bergischen Universität

Christian Nölle, ZIM-Abteilungsleiter an der Bergischen Universität, hat seine Mobilität Schritt für Schritt umgestellt. 2016 fing es mit dem Pedelec oder – bei eher schlechtem Wetter – mit dem Bus hoch zum Campus Grifflenberg an. 2019 folgte das erste Lastenrad, ein sogenanntes „Long Tail“, auch als „Bäckerrad“ bekannt, was durch seinen langen Gepäckträger ins Auge fällt. „So finden einerseits die Kinder genug Platz und andererseits kann ich damit auch die meisten Einkäufe regeln.“

Für den Besuch des Getränkemarktes wurde das anfänglich genutzte Pedelec verkauft und ein „Long John“, ein E-Lastenrad mit Ladefläche im Vorderbereich, angeschafft. „Dieses nutze ich bei Wind und Wetter, selbst im Winter, für den Arbeitsweg zur Universität und bin damit gar schneller vom Ölberg am Campus Grifflenberg als mit dem Auto“, so Nölle. Letzteres wird nur noch für Freizeitaktivitäten genutzt. „Auch meine Frau ist komplett auf das Rad umgestiegen.“

Für den Weg hoch zum Grifflenberg wünscht er sich eine bessere Fahrradinfrastruktur: „Ein vernünftiger, baulich – nicht nur mit einem Farbstreifen – getrennter Fahrradweg durch die Südstadt zur Fußgängerbrücke am Campus wäre wichtig. Ebenso überdachte Stellplätze am Campus, etwa im Bereich des Parkhauses.“ »mw«

Fienchen – Lastenräder- und Radverleihplattform für Wuppertal

Wuppertaler:innen, die in die Welt der Lastenräder einsteigen wollen, sollten die ehrenamtliche Verleihplattform Fienchen besuchen. Das gemeinsames Projekt von Fahrradstadt Wuppertal e.V., Talradler.de, Utopiastadt und weiteren Kooperationspartner:innen hat einen kostenlosen, durch Spenden finanzierten (Lasten-)Radverleih realisiert.

Mehr zu Fienchen unter:

Fienchen 2 © Fahrradstadt Wuppertal

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