Chaos in schönster Ordnung

Philine Halstenbach zeigt in der Universitätsbibliothek ein Panoptikum des Sammelns

Ein Kreis, ein rosa und ein blaues Rechteck, eine schrumpelige Kuppel - zutreffende Wörter für drei der zahllosen Objekte im Raum. Genau so richtig wäre, die einstige Funktion zu benennen, sofern man sie an der Wand denn erkennt: Eine CD, zwei Folienhüllen, ein Edelstahlschwamm. Philine Halstenbachs Ausstellung "HowWhy - Island of Wonderers" in der Universitätsbibliothek ist eine Schau zum Staunen zwischen Ästhetik und Anarchie - und dabei Struktur pur.

Durch die Vielfalt und schiere Zahl lockt zwar auch der Begriff „Sammelsurium“, zumal es entschieden ums Sammeln geht. Doch passt er nicht recht, weil sich Beliebigkeit und Unordnung damit verbinden – und dieser extrem kleinteilige Kosmos im Erdgeschoss der Bibliothek ist eine einzige Ode an die Ordnung. „Panoptikum“ trifft es besser: Eine verblüffende Wunderkammer.

„Mein eigentliches Thema ist Sammeln.“

Philine Halstenbach hat in Wuppertal Kunst studiert und in ihrem Schaffen seither ist es nicht der erste „Kosmos“ im Sinne einer begehbaren Installation. Große Gemeinsamkeit: Sammeln – ihre auch private Gewohnheit. Sie bewahrt und archiviert eine Masse an Material – Glasdeckel, Pappschnitzel, Eislöffel und vieles, vieles mehr. Voriges Jahr kuratierte sie im Elberfelder Kulturzentrum „Loch“ die Gruppenausstellung „Vieldingflut“. Schon dort spielte das Sammeln als Kulturtechnik eine gehörige Rolle. Einen eigenen Raum gebaut hat sie zuletzt auch beim Künstlerverbund „Art fam 7+“ in der Rathaus-Galerie – wieder der Eindruck: Hier wird nicht „nur“ gezeigt, hier geht es ums Sammeln selbst. In „HowWhy“ nun bestätigt Halstenbach das als Prinzip: „Ich mache zwar auch Zeichnungen oder Texte, und ich bastle. Aber mein eigentliches Thema ist Sammeln.“

So präsentiert denn „HowWhy“ sehr unterhaltsam die Folgen eines unstillbaren Drangs – und zugleich mehrere Versuche, ihm zu begegnen: Man kann Dinge in Setzkästen bringen, einer enthält zum Beispiel den weißen Aufsatz einer Saftpresse oder (in einem für sich schon winzigen Fläschchen mit Korken) fast mikroskopische Plastikdübel. Oder: Man klebt sie kombiniert an die Wand und kreiert etwa das eingangs erwähnte CD-Folien-Ensemble. Wie wirkmächtig das ist, beweist der Fakt, dass nah beim Edelstahl- zudem ein Kunststoffschwamm hängt, dessen „Verwandtschaft“ aber durch die Anordnung komplett aus dem Blick fällt. Soll sie auch, denn: Das grüne, hüglige Exemplar stellt nicht weniger dar als das Bergische Land – sogar ein paar „Pflanzen“ stecken darin. Staunen, Schmunzeln, Wertschätzen: All das passiert beim Besuch der Schau alle naslang. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, sagt man – aber manchmal hilft es wohl, wenn das Auge wie hier sanft gelenkt wird.

„Ich werde die Freiheit in meinem Kopf haben“

Auch sich selbst (ein-)zuordnen mag ein Motiv der Künstlerin sein. Dass es Philine Halstenbach ernst damit ist, klingt in Texten an der Wand deutlich an, wenn es um ein Übermaß an Gedanken und Einfällen geht: „Please be patient please don’t mind“ ist auf Zetteln ebenso zu lesen wie „Ich werde die Freiheit in meinem Kopf haben“. Und irgendwo zwischen Gäbelchen und „Spiegeleiern“ findet sich eine wahre Perle; ein Gedicht, lakonisch wie expressiv, das vielleicht alles sagt. Auszug: „Ich habe den roten Faden verloren / und mich auf der Suche danach / darin verheddert. / Was es jetzt braucht, ist Geduld / und Zuversicht, dass ich mich entwirren kann / mich entfesseln / den roten Faden aufrollen / und ihn behalten.“

„ADHS“ ist dann eine medizinische Einordnung, die als Option mehrfach auf den Wänden auftaucht – und man mag als „Aha-Erlebnis“ verbuchen, dass es arg verkürzt wäre, diese gedankenreiche Veranlagung bloß als „Zappelphilipp-Syndrom“ zu sehen. Halstenbach erzählt von einer Sitcom-Szene, die „in der ADHS-Szene“ sehr bekannt sei: Ein Mann will in der Wohnung eine Glühbirne wechseln, doch schräge Kreuz- und Quer-Assoziationen führen dazu, dass seine Frau ihn werkelnd unterm Auto findet.

Zur Reflexion übers Sammeln tritt dadurch auch ein weiterer „ernsthafter“ Aspekt der Schau, den einige Besucher:innen wohl als Ertrag schon mitnahmen, wie die Künstlerin erzählt: sich selbst in dieser Weltwahrnehmung wieder zu erkennen und eigenes Befassen mit dem Thema ADHS anzuschließen.

„Wuppertal […] scheint schon lange dem Philine-Prinzip zu folgen“

Übrigens erfuhren Halstenbach und Wuppertal vorigen März einen zeitgleichen Bekanntheitsschub: Im viel beachteten Artikel „Das neue Berlin heißt Wuppertal der Wochenzeitung „Die Zeit“ wird sie als Beispiel für diese These ausführlich vorgestellt; Hanno Rauterberg schreibt: „Wuppertal […] scheint schon lange dem Philine-Prinzip zu folgen: weiter Kosmos auf engstem Raum, in sich selbst verpuzzelt, zugleich für alles Neue offen, für das scheinbar Unbrauchbare sowieso.“ Da mag man nicht widersprechen – und „HowWhy“ gibt einen guten Eindruck davon.

Was das Gesamtbild der Schau betrifft, so tritt auf dieser „Island of Wonderers“ neben den Spaß und den ästhetischen Wert ein gutes Stück entspannte Anarchie: Frischfrech werden Kontexte negiert und manchmal neue gestiftet. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile? Kann schon sein, ja, muss aber nicht – auch die Teile sind doch schön.


Die Ausstellung im Erdgeschoss der Universitätsbibliothek läuft bis kommenden Mittwoch, 12. Juli 2023.

Gastautor Martin Hagemeyer

Martin Hagemeyer hat an der Bergischen Universität Literatur und Geschichte studiert. Er ist freier Autor und Journalist („Westdeutsche Zeitung“, „Die beste Zeit“ und weitere) und schreibt u.a. gern Künstlerporträts.

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