Akademische Laufbahn: „Ich weiß noch nicht, wo es mich am Ende hin verschlagen wird“

Unsere Redakteurin Julia Grasmik sprach mit Dr. Carolin Gebauer, Postdoc und Habilitandin am Zentrum für Erzählforschung (ZEF) an der Bergischen Universität Wuppertal (BUW) über die Chancen und Herausforderungen einer akademischen Laufbahn.

Julia: Sie sind Dozentin für Britische Literatur- und Kulturwissenschaft an der BUW und Postdoc am Zentrum für Erzählforschung. Um direkt beim Thema Narration zu bleiben – Erzählen passiert ja nicht nur im fiktionalen Rahmen, sondern prägt unser alltägliches Leben – meine Frage zum Einstieg: Wie würden Sie Ihren beruflichen Werdegang selbst in ein paar Sätzen zusammenfassen?

Dr. Gebauer: Ich habe an der BUW studiert und bin anschließend für den Berufseinstieg in Wuppertal geblieben. Zunächst habe ich den Kombinatorischen Bachelor of Arts mit der Fächerkombination Anglistik und Romanistik studiert, damals mit dem Ziel, Lehrerin zu werden. Ich habe auch die Pflichtpraktika absolviert, die mir durchaus Spaß gemacht haben, aber dann wurde mir eine Stelle als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Anglistische Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft angeboten. Im Rahmen dieser Tätigkeit habe ich einen Einblick in die Forschung erhalten und gemerkt: Das ist eigentlich das, was mich noch mehr interessiert. So habe ich mich dann dazu entschlossen, den Master of Arts – anstelle des Master of Education – im Fach English and American Studies zu absolvieren. Nach meinem Studium hatte ich dann das große Glück, auf einer halben Stelle – ebenfalls in der Anglistik – promovieren zu können, das heißt, ich konnte bereits anfangen, an der Universität zu lehren, und gleichzeitig am Zentrum für Erzählforschung (ZEF) an meiner Dissertation arbeiten. Kurz nach Abschluss meiner Promotion habe ich an der Antragstellung eines von der Europäischen Union geförderten Verbundforschungsprojekts zum Thema Narration und Migration mitgewirkt, das erfreulicherweise auch bewilligt wurde. Aus diesem Grund habe ich mich schließlich dazu entschieden, in Wuppertal zu bleiben und mich hier zu habilitieren.

Lehramt oder Wissenschaft?

Julia: Sie erwähnten bereits, dass Sie mit dem Berufswunsch Lehramt in das Studium eingestiegen sind. Kann der Beruf Wissenschaftler:in überhaupt ein Traumberuf sein, oder ist das eher etwas, in das man nach und nach hineinwächst?

Dr. Gebauer: Nach dem Abitur weiß man ja gar nicht, was an der Uni auf einen zukommt. Ich wusste, dass ich Englisch und Französisch studieren wollte. Zwar haben mir immer alle davon abgeraten („Zwei Korrekturfächer – das ist ja der Wahnsinn!“), aber ich war sehr an Literatur, an den Sprachen und Kulturen interessiert und wollte das unbedingt machen. Dann kommt man an die Uni, und alles ist anders, als man es sich vorgestellt hat. Bei mir war es tatsächlich so, dass ich in meinen Beruf hineingewachsen bin. Durch meine Hilfskraftstellen konnte ich mir eine Vorstellung davon verschaffen, wie man wissenschaftlich arbeitet, und fand das total spannend – so hat sich das dann ergeben. Mittlerweile weiß ich ziemlich sicher: Das ist das, was ich auf jeden Fall machen möchte. In der Wissenschaft ist das aber immer schwierig, weil man nicht weiß, wie es weitergeht und ob man bleiben kann. Aber spätestens nach der Promotion macht man das tatsächlich nur noch, wenn man wirklich dafür brennt.

Julia: Hatten Sie dennoch manchmal Zweifel an Ihrem Weg?

Dr. Gebauer: Ich weiß noch, dass ich sehr lange überlegt habe, ob ich den Master of Arts oder den Master of Education (M.Ed.) studieren möchte. Irgendwann war mir klar: Ich möchte promovieren – das wäre auch mit einem M.Ed.-Abschluss möglich gewesen, und so hätte ich mir die Option Schule offengehalten. Schlussendlich habe ich mich aber doch für meine Leidenschaft entschieden. Ich habe meine Doktorarbeit zu einem erzähltheoretischen Thema verfasst, und diese narratologische Forschung, die ich auch bereits während meines Studiums vorbereitet habe, hat mir am meisten Spaß gemacht – das hätte ich im M.Ed. nur ziemlich am Rande machen können.

Arbeitsbedingungen an Universitäten

Julia: Die Wissenschaft ist bekanntlich ein sehr kompetitives Feld und auch der Arbeitsmarkt für Wissenschaftler:innen sieht je nach Fachbereich nicht immer günstig aus: Die Arbeitsplätze sind rar, häufig gibt es nur befristete Verträge und somit eine niedrigere Beschäftigungssicherheit als in vielen anderen Berufen. Haben diese Bedingungen auch in Ihrem Werdegang eine Rolle gespielt?

Dr. Gebauer: Ich bin zurzeit auf einer Qualifikationsstelle beschäftigt, und diese Qualifikationsstellen sind nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz immer befristet. Das Gesetz sagt: Man hat sechs Jahre für die Promotion und sechs Jahre für die Habilitation. Nach dieser Zeit kann man in der Regel nicht mehr befristet als wissenschaftliche Mitarbeiter:in angestellt werden. Das Problem dabei ist, dass es nicht genug feste Stellen an Universitäten gibt; das heißt, da ist für viele Akademiker:innen dann Schluss. Diese Unsicherheit schwingt natürlich immer mit – in der Postdoc-Phase umso mehr, denn je weiter man sich in der Wissenschaft qualifiziert, desto schwieriger wird es, sich in ein anderes Berufsfeld einzuarbeiten, falls man nach der Qualifizierungsphase an der Uni keinen Job bekommt. Vielleicht haben Sie schonmal von der #IchbinHanna-Bewegung gehört. Da geht es um die Debatte über die prekäre Beschäftigung von Nachwuchswissenschaftler:innen, und das hat hohe Wellen geschlagen. Ich habe das Gefühl, dass auch die Unis mittlerweile mehr darüber sprechen und dass etwas in Bewegung ist – es ist aber noch nicht ganz klar, in welche Richtung.

Julia: Forschende werden häufig als stark intrinsisch motiviert dargestellt. Reicht dieser innere Antrieb auf Dauer?

Dr. Gebauer: Die intrinsische Motivation ist schon extrem wichtig. Einige meiner Freund:innen, mit denen ich angefangen habe zu studieren, sind jetzt verbeamtet und haben natürlich eine ganz andere Planungssicherheit. Sie wissen, dass sie ihr Leben lang ihren aktuellen Job haben werden und ihren Wunschberuf ausüben können – ich weiß noch nicht, wo es mich am Ende hin verschlagen wird. Aber das nimmt man auf sich, wenn man wirklich für die Wissenschaft brennt. Es gibt aber auch Formen von extrinsischer Motivation, zum Beispiel, wenn man mit anderen in Projekten zusammenarbeitet, oder auch die Frage: Warum mache ich Forschung? Man möchte natürlich auch die Gesellschaft damit verändern.

Klischee Elfenbeinturm

Julia: Da sprechen Sie einen weiteren spannenden Punkt an: die gesellschaftliche Rolle von Wissenschaftler:innen. In vielen Köpfen herrscht noch das Bild der:des Forschenden im Elfenbeinturm vor, die:der sich fernab der Realität mit Themen beschäftigt, die kaum gesellschaftliche Relevanz haben.

Dr. Gebauer: Ja, dieses Klischee kenne ich. Als ich promoviert habe, wurde mir häufig die Frage gestellt: „Warum machst du denn ausgerechnet dieses Thema?“ oder „Was bringt das?“ Ich habe zu zeitgenössischen Romanen promoviert, die im Präsens geschrieben sind, und mich mit der Wirkung dieser Erzählform auf Leser:innen beschäftigt. Dabei habe ich mich u.a. mit der Frage auseinandergesetzt, warum es gerade jetzt, also ungefähr seit dem Millennium, diesen Trend zumindest in der englischsprachigen Literatur gibt. Aus meiner Sicht antworten Präsensromane auf das Leseverhalten im digitalen Zeitalter – durch den Konsum von digitalen Medien verändert sich zum Beispiel unsere Aufmerksamkeitsspanne. Da gibt es also durchaus einen kulturellen Bezug. Und in dem aktuellen EU-Projekt, an dem ich beteiligt bin, geht es um die Darstellung von Migration in der europäischen Öffentlichkeit und das ist natürlich von höchster Relevanz für die heutige Zeit. Im Rahmen dieses Projektes schaue ich mir Erzähldynamiken in den Medien an und untersuche, wie diese die Wahrnehmung einer bestimmten Situation in der Gesellschaft beeinflussen. Meine narratologische Perspektive auf die Dinge hilft also zu verstehen, wie wir selbst oder die Medien besondere Situationen mitgestalten.

Julia: Wie würden Sie Ihren Arbeitsalltag beschreiben?

Dr. Gebauer: Das variiert stark zwischen Vorlesungszeit und vorlesungsfreier Zeit. In der Vorlesungszeit steht hauptsächlich die Lehre im Vordergrund, also die Vorbereitung der Kurse und der Prüfungen, und nebenher arbeitet man natürlich noch an Publikationen. Außerdem ist da die Gremientätigkeit: Ich bin zurzeit Mitglied im Promotionsausschuss der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften sowie Vorstandsmitglied des Zentrum für Erzählforschung (ZEF). Zudem arbeite ich in der Redaktion von DIEGESIS mit, dem von Mitgliedern des ZEF herausgegebenen Open Access E-Journal für interdisziplinäre Erzählforschung. In der vorlesungsfreien Zeit korrigiert man meistens studentische Arbeiten beziehungsweise betreut die Studierenden bei der Anfertigung ihrer Hausarbeiten. Das ist aber auch die Zeit zum Forschen, da kann man mal am Stück schreiben und sich richtig in die Themen „reinfuchsen“. Zwischendurch finden noch Konferenzen statt; durch meine Mitgliedschaft in der International Society for the Study of Narrative (ISSN) bin ich gut vernetzt und reise dann auch in verschiedene Länder zu den Veranstaltungen.

Work-Life-Balance

Julia: Das klingt sehr zeitintensiv. Wie würden Sie Ihre Work-Life-Balance bewerten?

Dr. Gebauer: Das bringt der Job so mit sich. Wenn man forscht und sich lang und intensiv mit einem Thema auseinandersetzt und dabei kreativ ist, dann ist es schwierig zu sagen: „Ich hab’ da ’ne gute Idee, aber jetzt ist Wochenende!“ Tatsächlich arbeite ich auch viel am Wochenende oder sogar im Urlaub – der Kopf macht ja keine Pause. Man hat natürlich nicht so einen geregelten Arbeitsalltag wie zum Beispiel jemand mit einem gewöhnlichen Bürojob. Vieles ist auch unvorhersehbar: Mal findet eine Tagung statt, mal muss man Deadlines einhalten. Aber ich finde, das macht den Job sehr spannend und bietet viel Abwechslung. Wenn ich zum Beispiel an einem Tag keine Lust habe zu korrigieren, kann ich weiter an einem Artikel schreiben und andersherum. Dafür ist aber natürlich auch viel Flexibilität gefragt.

Julia: Die Corona-Pandemie hat unsere Arbeitswelt in den letzten Jahren ziemlich auf den Kopf gestellt. Wie hat sich Ihr Beruf dadurch verändert? Haben Sie vielleicht neue Tools für die Lehre entdeckt, oder hat es Ihre Arbeit eher erschwert?

Dr. Gebauer: Ich hatte den Eindruck, das war für alle schwierig, vor allem für die Studierenden. Als man sich dann aber allmählich eingefunden hat in das Ganze, habe ich neue Lehrformate ausprobiert und bin auf einige Ideen gekommen – in einem Kurs zum Beispiel lasse ich meine Studierenden jetzt als Leistungsnachweis einen Podcast aufnehmen.

Forschungsstandort Wuppertal

Julia: Wie würden Sie den Forschungsstandort Wuppertal und seine Bedeutung für Ihren Werdegang bewerten? Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen hier viele Chancen für Ihre Weiterbildung geboten werden?

Dr. Gebauer: Für mein Studium war klar, dass Wuppertal einer der besten Standorte für Lehrer:innenbildung ist. Aber auch für die Promotion war Wuppertal meine erste Wahl, da wir das ZEF haben, das deutschlandweit zu den führenden Zentren im Bereich der Erzählforschung zählt und auch international ein großer Begriff ist. Dadurch bin ich in die Narrative Society gelangt, wo ich mich auch aktiv engagiere. Auch das Weiterbildungsangebot für Promovierende ist in Wuppertal hervorragend – es gibt das Zentrum für Graduiertenstudien (ZGS) und die Servicestelle akademische Personalentwicklung (SaPe). Manchmal ist aber auch ein Blick nach außen sehr wertvoll: Ich bin Young Fellow am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) in Bielefeld, und bei den regelmäßigen Treffen des Jungen ZiF bekomme ich einen Einblick, wie es an anderen Universitäten und in anderen Disziplinen läuft, was ich sehr inspirierend finde.

Julia: Was würden Sie Studierenden raten, die sich für die akademische Laufbahn interessieren? Muss man notentechnisch ein:e Überflieger:in sein?

Dr. Gebauer: In dem Fach, in dem man promovieren möchte, das stimmt schon, da muss man echt gut sein. Ich würde aber immer dazu raten, dass man nur promovieren sollte, wenn man wirklich eine große Leidenschaft für das Fach hat, weil man sich jahrelang mit dem eigenen Promotionsthema auseinandersetzen wird. Man schreibt ja ein Buch, die Doktorarbeit, und das ist nicht immer einfach; es gibt manchmal Durststrecken. Um die durchzustehen, muss man voll und ganz hinter dem Thema stehen. Man sollte auf jeden Fall Selbstdisziplin mitbringen und die Bereitschaft, viel Zeit zu investieren. Wenn man also sagt: „Ich hasse es, Hausarbeiten zu schreiben, und es graut mir vor der Bachelorarbeit“, wird es wahrscheinlich eher schwierig. Studierenden, die aufrichtiges Interesse an einer Promotion haben, würde ich immer raten, ihre Dozierenden anzusprechen. Ich habe den Eindruck, das passiert viel zu selten. Ich selbst habe zum Beispiel viel mit meinen damaligen Professor:innen darüber gesprochen, ob ich den M.A. studieren und eine Promotion anstreben soll – sie können einem die Entscheidung natürlich nicht abnehmen, aber sie können beraten und Auskunft darüber geben, wie die Promotion in dem jeweiligen Fach abläuft. Suchen Sie also das Gespräch! »jg«

Kurzvita von Dr. Carolin Gebauer

  • 2007 bis 2014: Kombi B.A. Anglistik und Romanistik, anschließend M.A. English and American Studies, Bergische Universität Wuppertal
  • 2014 bis 2020: Promotion
  • Seit 2020: Postdoc & Habilitandin am Zentrum für Erzählforschung, Bergische Universität Wuppertal
  • Seit 2021: Mitarbeit im von der EU geförderten Horizon 2020 Projekt „Crises as OPPORTUNITIES“ & Young Fellow des Zentrums für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld

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