Zwei Jahre Frankreich – Zwei Jahre Selbstreflexion: Der geplante Glücksmoment

Vor wenigen Wochen feierte ich mein Zweijähriges mit meiner großen Liebe und nahm diesen Moment zum Anlass, um auf die letzten beiden Jahre in Nantes zurückzusehen und meine persönlichen Fortschritte Revue passieren zu lassen.

Sophie vor dem Château des ducs de Bretagne - Foto: skuhn

Natürlich war anfänglich alles rosarot. Die Liebe zu Frankreich und der starke Wunsch, hier zu leben, haben mich zu Beginn buchstäblich erblinden lassen. Ich war so aufgeregt, mein so lange herbeigesehntes Ziel nun verwirklichen zu können. Ich hatte das Gefühl, nun endlich mit meiner langjährigen Fernbeziehung ein gemeinsames Leben aufzubauen. Denn die Niederlassung in diesem Land stellte für mich die ultimativ letzte Stufe meines persönlichen Glückes dar. Wie es allerdings mit jeder Liebesbeziehung so ist, holt dich irgendwann der Alltag ein und die sorglosen Momente schwinden langsam dahin. Das Aufrechterhalten der ursprünglichen Flamme verlangt nun aktive Bemühungen ab und das sorglose Lieben wird von immer häufigeren unerwarteten Wendungen unterbrochen. Es ist genau dieser Punkt, an dem man eine Entscheidung treffen muss. Stay or leave.

Liebe auf den ersten Blick

Für mich verliefen die ersten beiden Jahre hier ähnlich. Wie am Anfang jeder glücklichen Beziehung sind die Tage prall gefüllt mit Glücksmomenten und ähnlich wie bei einer sich aufbauenden Beziehung durchläuft man diverse Etappen, macht sich mit der neuen Stadt und deren Menschen vertraut. Freundschaften entwickeln sich und man verliebt sich jeden Tag ein Stückchen mehr, denn man hat das Gefühl, dass jeder Tag voller aufregender Abenteuer steckt. So vergeht nun letztendlich die Zeit und man sucht immer wieder nach dem nächsten Rausch. Die andauernde Glücksphase soll bloß nicht vorbeigehen.

Besuch aus Wuppertal – Foto: skuhn

Hochmut kommt vor dem Fall

Doch wie es in jeder Liebesbeziehung so ist, schleicht sich irgendwann langsam aber sicher der Alltag ein. Für mich stand das Verlassen der Stadt außer Frage. Doch wie sorgt man dafür, dass die Romantik nicht dahinscheidet? Diverse Rückschläge blieben bei diesem Versuch natürlich nicht aus. Mir wurden Jobangebote aus allen Richtungen gemacht. Dennoch ist die Situation für Deutschlehrer:innen in Frankreich so prekär, dass feste Arbeitsverträge nur selten angeboten werden. Sicherer ist es, als Selbstständige zu arbeiten. Also entschied ich mich für diesen Weg. Da ich das Schreiben für mich entdeckte, lag es auf der Hand, dass ich die beiden Berufe kombinieren würde: Deutschlehrerin und Redakteurin. Ich meldete meine Selbstständigkeit an, unterrichtete an zwei verschiedenen Schulen und schrieb wöchentlich mehrere Artikel. Dennoch blieb das überlebensnotwendige Gehalt aus. Die Summen, die monatlich auf mein Konto eingingen, reichten gerade so aus, um mich über Wasser zu halten.

Es liegt nicht an dir, sondern an mir

Und hier kam nun der Moment, an dem ich meine Entscheidung in Frage stellte. Ich fühlte mich, als ob das Land mich zurückwiese. Die anfängliche Verliebtheit verflog im Lauf der nächsten Monate immer mehr. In meinem Kopf taten sich hunderte von Fragen auf. Ich begann, nicht nur meine Präsenz in diesem Land anzuzweifeln, sondern auch Freundschaften und Beziehungen, die ich aufgebaut hatte. Es ist schwierig emotionalen Rückhalt zu bekommen, wenn die Menschen die dich am besten kennen, fast 1000 km entfernt sind. Emotional war ich extrem auf meine französische Entourage angewiesen, sodass ich das Gefühl hatte, eine Last zu sein. Ich wollte niemanden mit meinen Problemen belasten. Denn schließlich habe ich diese Wahl getroffen und bin aus eigenen Stücken nach Frankreich gezogen. Bis zu dem Tag, an dem es zu diesem einen großen Nervenzusammenbruch kam und ich mich nun endlich traute, das Problem laut auszusprechen. ICH BIN NICHT LÄNGER GLÜCKLICH IN FRANKREICH. Doch wie kann das eigentlich sein? Hier zu leben und ein Teil der Stadt zu werden, ist doch genau der Glücksmoment, auf den ich so lange hingearbeitet hatte und plötzlich soll das alles vorbei sein? Ist das etwa das Ende dieser Romanze?

Spoileralarm. Nein, es sollte nicht das Ende sein.

Die Loire – Foto: skuhn

Nantes, je t’aime.

Ich schreibe immer wieder darüber, wie schwierig es sein kann, von Familie und Freunden getrennt zu sein und wie sehr mir all dies teilweise fehlt. Wichtig bei solch einer Erkenntnis ist es, sich seinen Gefühlen bewusst zu werden, diese auszusprechen und nicht in einem Ozean von sentimentaler Überwältigung zu versinken, Dinge zu relativieren und sich immer wieder das vor Augen zu halten, was man bereits alles geschafft hat. In schwierigen Zeiten in einer Beziehung tendiert man viel häufiger dazu, die negativen Aspekte lauter werden zu lassen und all die gemeinsamem schönen Momente zu übersehen.

Letztendlich hat sich das Blatt gewendet und ich bin froh, dem Abenteuer Frankreich kein Ende gesetzt zu haben. Was folgte, waren neue Bekanntschaften. Menschen, die ich noch vor einem Jahr nicht kannte und die nun täglich dazu beitragen, dass mein Alltag ein kleines Stückchen besser verläuft. Mir gelang es erneut, den amourösen Rausch wiederzufinden. Es gibt ihn nicht diesen einen Glücksmoment, das ultimative Stadium der Freude, welches zu erreichen ist. Gesunde und stabile Beziehungen bauen sich kontinuierlich auf und wachsen insbesondere an den Momenten, die unüberwindbar scheinen.

Sophie Kuhn

Sophie Kuhn ist ehemalige Studentin der Bergischen Universität Wuppertal. Nach ihrem Abschluss in den Fächern Anglistik/Amerikanistik und Sozialwissenschaften (Kombi B.A.) und zwei Auslandsaufenthalten in Frankreich und Großbritannien entschied sie sich Anfang 2021 dazu, nach Frankreich auszuwandern. Sie lebt nun in Nantes, arbeitet als Lektorin an der Universität Nantes und als freie Redakteurin. In einer Beitragsreihe berichtet sie über ihr Leben im Westen Frankreichs.

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